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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat
Autoren: F Steinhauer
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Seine Schultern zuckten. »Maurice hatte dem Familienrichter erklärt, er liebe Mama viel mehr als den Papa und der neue Mann sei ein cooler Typ! Annabelle wollte ihrer Freundinnen wegen nicht die Schule wechseln und blieb deshalb bei mir. Und nun ist mein Kleiner tot!«
    Nachtigall, der über das zunächst gefasste Auftreten des Vaters überrascht war, legte dem nun verzweifelt wirkenden Mann seine Hand auf die Schulter. »Das muss hart gewesen sein, den eigenen Sohn sagen zu hören, der neue Papa sei cooler.«
    Johannes Gieselke nickte. Er zog ein gestreiftes Stofftaschentuch aus der Hose und putzte sich die Nase. »Nun – was soll ich sagen? Sie haben ihn bestochen, überredet, gekauft. Reisen wollten sie mit ihm machen, einen Hund sollte er bekommen. Später ein eigenes Pferd! Das gefiel Maurice natürlich. Diese Ferien sollten vor dem Abflug die letzten gemeinsamen Tage für die Geschwister sein.«
    Nachtigall schwieg. Erst als deutlich wurde, dass der Vater von sich aus nicht weitersprechen würde, fragte er: »Annabelle war mit dieser Regelung glücklich?«
    »Was heißt in so einer Situation schon glücklich? Sie hatte seit Längerem Schwierigkeiten mit ihrer Mutter. Wie das eben so ist! Mit Beginn der Pubertät läuft es manchmal zwischen Mutter und Tochter nicht mehr rund. Annabelle wurde trotzig und frech. Sie weigerte sich, im Haushalt zu helfen, brachte absichtlich Schmutz mit ins Haus, räumte ihr Zimmer nicht auf, war patzig. Das Übliche eben. Vielleicht wollte sie auch bei mir bleiben, weil sie dachte, damit wäre sie all diese lästigen Pflichten los.«
    »Die Geschwister haben die Trennung voneinander nicht bedauert?«
    »Später hätten sie es vielleicht. Zurzeit nicht. Jeder lebte sein Leben. Annabelle geht zur Schule, macht Hausaufgaben, trifft Freundinnen. Der Kleine hat sie einfach nicht interessiert. In ihren Augen war er lästig, er hörte sich alberne Kassetten oder CDs an, war ein Muttersöhnchen, konnte sich nicht gut allein beschäftigen, brauchte Aufsicht. In ein paar Jahren hätte das sicher alles anders ausgesehen.«
    Das konnte Nachtigall nicht beurteilen. Seine Tochter Jule war ein Einzelkind, ein Unikat, wie er immer wieder liebevoll feststellte.
    »Wo können wir Sie denn erreichen, falls wir noch Fragen haben?«
    »Im Haus meiner Eltern wahrscheinlich. Oder in meiner Wohnung in Cottbus.« Er zog eine Visitenkarte aus der Brusttasche des Jacketts und reichte sie dem Ermittler. »Sehen Sie, es fällt mir nicht leicht, mich in dieser Situation um die beiden zu kümmern.« Er gab sich einen Ruck und stand auf. »Aber vielleicht trifft meinen Vater ja tatsächlich keine Schuld – Sie werden das ja bald klären.« Er schüttelte kraftlos Nachtigalls Hand. »Meine Tochter ist nun alles, was mir geblieben ist. Glauben Sie eigentlich, Annabelle könnte den Mord beobachtet haben?«
    »Sie spricht nicht. Ausschließen kann ich zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich gar nichts«, erklärte der Hauptkommissar und hoffte, dem Mädchen möge wenigstens das erspart geblieben sein.
    Johannes Gieselke seufzte schwer, griff nach seinem Mantel und machte sich grußlos auf den Weg zum Ausgang. Seine Schritte waren schleppend, den Oberkörper hatte er weit nach vorne gebeugt. Nach wenigen Metern drehte er sich noch einmal um. »Finden Sie das Schwein! Ich kann mir nicht einen Grund denken, den es für so ein Verbrechen geben kann! Es muss ein Irrer gewesen sein!«
     
    Nein, dachte Peter Nachtigall und sah dem Vater lange nach, nein, ich fürchte, die Lösung wird anders aussehen.

5
    Albrecht Skorubski holte Nachtigall am Klinikum Cottbus ab. »Wo wohnt die Mutter?«
    »Humboldtstraße.«
    »Ich weiß, wo das ist. Das ist so ein Gartenviertel, direkt gegenüber von diesem neuen Einkaufsmarkt. Beim Sportzentrum.«
    »Zwischen Dresdner Straße und Bautzener Straße?«
    Skorubski nickte und bog in die Thiemstraße ein. »Glaubst du wirklich, jemand hat den Jungen umgebracht?«
    »Auf jeden Fall sieht es eindeutig nach Fremdverschulden aus. Es war nicht so, dass er mit dem Gewehr gespielt hat, als es losging. Jemand war dabei. Und wir werden herausfinden, wer das war!«
    »Hm«, brummte Skorubski unbestimmt und wartete ungeduldig auf Grün.
    »Die Ehe der Eltern wurde vor Kurzem rechtskräftig geschieden. Der Name der Mutter ist Nele Hain. Sie lebt mit einem neuen Partner zusammen«, informierte Nachtigall seinen Kollegen.
    »Und die Kinder?«
    »Annabelle beim Papa, Maurice bei der Mama. Offensichtlich
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