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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat
Autoren: F Steinhauer
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unwahrscheinlich.« Der Vater richtete sich auf seinem Stuhl auf. »Hören Sie, Mord an einem sechsjährigen Jungen! Ist das wirklich Ihr Ernst?«
    »Das Gewehr lag auf dem Schreibtisch Ihres Vaters.«
    Nachtigall beobachtete, wie diese neue Information in das Bewusstsein Gieselkes sickerte. »Sie meinen, dort hätte er selbst es nicht ablegen können – nach dem Schuss«, hauchte der Vater dann. »Aber vielleicht lag es auf dem Boden und Annabelle hob es ohne zu denken auf, als sie Maurice fand. Sie könnte es dort abgelegt haben.«
    »Das kann sie mir im Moment aber nicht erzählen«, erinnerte Nachtigall den jungen Mann. Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
    »Der Kater meiner Mutter heißt Chester. Sein Fell hat die Farbe dieses Käses, Sie wissen schon, so rötlich. Die Kinder schlichen manchmal durch Chesters Privateingang rein und raus. Nur aus kindlicher Freude am Geheimausgang. Ansonsten werden alle Türen immer sorgfältig verriegelt.« Gieselke zögerte, holte tief Luft und fügte energisch hinzu: »Wenn jemand ernsthaft hätte einbrechen wollen, wäre das nicht ohne erheblichen Lärm möglich gewesen!«
    »Und dadurch wären die übrigen Hausbewohner aufgeschreckt worden?«
    »An normalen Tagen ja. Aber wenn meine Eltern allein sind, so wie heute, eher nicht. Das würde allerdings bedeuten, jemand wusste genau, zu welchem Zeitpunkt er zuschlagen konnte.« Gieselke starrte auf das Muster des Bodenbelags, als gelte es, einen geheimen Code zu knacken. »Mittwochs haben die Angestellten frei«, fügte er hinzu.
    »Wie viele Angestellte gibt es denn insgesamt?«
    »Einen Gärtner, der kommt nur selten, eine Haushaltshilfe, die das Einkaufen übernimmt, beim Putzen und der Wäsche mit anpackt. Deren Sohn arbeitet auch als Gehilfe im Garten. Harkt das Laub und fegt die Wege frei. Im Winter ist er auch für die Beseitigung des Schnees zuständig und fürs Streuen. Sie kommen zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Tagen. Nur am Mittwoch sind meine Eltern ganztägig allein.«
    »Das bedeutet, der Eindringling hatte die Lebensumstände Ihrer Eltern gründlich ausspioniert.«
    »Und zwar offensichtlich über einen längeren Zeitraum. Dabei hätte er leicht beobachtet werden können. Warum sollte jemand ein solch hohes Risiko eingehen, um einen kleinen Jungen zu töten?«
    »Wir wissen ja noch nicht, was heute Nachmittag genau passiert ist«, gab Nachtigall zu bedenken. »Wer wusste überhaupt davon, dass die Geschwister zu dieser Zeit bei den Großeltern wohnten?«
    »Oh je – sie haben es bestimmt ihren Freunden erzählt. Meine Eltern werden auch darüber gesprochen haben, die Einkaufsliste sieht in der Zeit des Enkelbesuchs bestimmt völlig anders aus als gewöhnlich. Das Personal war sicher informiert. Ach, hören Sie auf! Es muss ein Unfall gewesen sein!«
    »Ihr Vater fühlt sich schuldig. Er beharrt aber darauf, seine Waffen seien stets gut weggeschlossen, er könne sich nicht erklären, wie das Gewehr auf seinen Schreibtisch kommt.«
    »Da ist was dran. Er ist hysterisch, was diesen Punkt angeht«, bestätigte Johannes Gieselke. »Lieber geht er dreimal den abgeschlossenen Schrank kontrollieren, als dass er riskiert, ihn ein einziges Mal offen gelassen zu haben.«
    »Wie kam der Eindringling dann an die Waffe?«
    »Woher soll ich das wissen? Vielleicht wird mein Vater einfach vergesslich!« Johannes’ Augen sprühten wütende Funken.
    »Sie leben von der Mutter der Kinder getrennt?«
    »Nein!«
    Peter Nachtigall stutzte. Hatte er Frau Gieselke gründlich missverstanden? »Oh – entschuldigen Sie, aber Ihre Mutter meinte, Adresse und Telefonnummer der Kindsmutter bekäme ich von Ihnen. Vielleicht der Schock.«
    »Wenn Sie Adresse und Telefonnummer haben möchten, kann ich Ihnen selbstverständlich beides geben.« Johannes Gieselke schnappte nach dem Zettel, den der Hauptkommissar ihm hinhielt. »Die Mutter meiner Kinder lebt von mir getrennt! Seit ein paar Monaten ist unsere Ehe rechtskräftig geschieden!«, brach es plötzlich aus ihm heraus.
    »Und die Kinder?«
    »Gemeinsames Sorgerecht. Annabelle bleibt bei mir, damit sie die Schule nicht wechseln muss. Maurice wollte mit seiner Mutter und ihrem neuen Lebenspartner nach Quebec umziehen.« Tränen liefen über seine Wangen. Er versuchte, sie aufzuhalten, doch es drängten immer neue nach. Sie tropften vom Kinn auf den bunt gesprenkelten Bodenbelag. Schwer ließ er seinen Oberkörper nach vorne sacken und barg sein Gesicht in den Händen.
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