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Gurkensaat

Gurkensaat

Titel: Gurkensaat
Autoren: F Steinhauer
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Auwald?«
    »Oh, entschuldigen Sie. Ich bin der Hausarzt der Familie. Sie sind sicher von der Polizei, nicht wahr?«
    Nachtigall, viel zu überrascht, um eine ausführliche Antwort geben zu können, nickte nur. Niemals hatte er einen so jungen Hausarzt erwartet! Eher einen weißhaarigen Mann kurz vor dem Ruhestand.
    »Hallo, Annabelle. Das war ein wirklich schlimmes Erlebnis heute. Darf ich dich wohl mal ganz kurz an der Schulter anfassen?« Dr. Auwald streckte seinen Arm langsam nach dem Kind aus, das sofort zu wimmern begann. Rasch zuckte die Hand wieder zurück.
    »Sie will das nicht. Sprechen auch nicht«, erklärte die Großmutter tonlos.
    »Frau Gieselke, während die beiden Kinder hier wohnen, entscheiden Sie in allen medizinischen Belangen, oder?«
    Die alte Dame sah den Arzt nachdenklich an, nickte dann vorsichtig.
    »Ich glaube, es wäre klug, Annabelle in eine Spezialklinik bringen zu lassen. Weg von der Erinnerung. Sieht so aus, als bräuchte sie psychologische Betreuung.«
    Frau Gieselke sah ihre Enkelin voller Schmerz an.
    »Und Ihnen gebe ich eine Spritze. Danach werden Sie sich leichter fühlen und etwas schlafen. Einverstanden?«
    Er begann, sich an seiner Arzttasche zu schaffen zu machen.
    »Halt!«, mischte sich nun Nachtigall ein. »Bevor Sie die Zeugin vernehmungsunfähig machen, muss ich ihr noch ein paar Fragen stellen.«
    »Vernehmungsunfähig ist sie schon jetzt. Lassen Sie die arme Frau in Ruhe. Kommen Sie einfach morgen wieder, vielleicht können Sie dann Ihre Fragen stellen.« Ohne sich beirren zu lassen, organisierte Dr. Auwald den Transport Annabelles und zog die Spritze auf.
    »Wir müssen die Eltern benachrichtigen, Frau Gieselke. Ich brauche Telefonnummer und Anschrift Ihres Sohnes.«
    Der Hausarzt funkelte den Ermittler wütend an, während er den Ärmel seiner Patientin hochschob.
    »Mein Sohn weiß es ja längst. Versager! Dr. Auwald, stellen Sie sich vor, er hat uns Versager genannt!«, heulte sie erneut auf. »Seine Handynummer liegt hier drüben auf dem Schreibtisch. Er wird Ihnen die Adresse der Mutter geben!«
    »So – Sie haben nun, was Sie wollten, nicht wahr? Sie werden meine Patientin jetzt nicht mehr ansprechen!«
    Unbeeindruckt beobachtete Frau Gieselke, wie eine klare Flüssigkeit aus dem Spritzenkolben in ihren Arm gepresst wurde.
    »Am besten wäre, Sie würden sich jetzt hinlegen. Ihr Mann hat das auch schon getan«, empfahl Dr. Auwald.
    »Erst, wenn die Kleine versorgt ist. Ich werde sie in dieser Situation doch nicht sich selbst überlassen! Der Vater muss gleich hier sein.«
     
    Nachtigall, von dem niemand mehr Notiz zu nehmen schien, griff nach dem Zettel mit der Telefonnummer und verließ den Raum. Wenn der Vater ohnehin bereits auf dem Weg zu ihnen war, würde er die Zeit nutzen, um sich gründlich im Haus und auf dem Gelände umzusehen.
    Der leitende Staatsanwalt Dr. März war auch noch immer nicht eingetroffen, stellte er fest. »Vielleicht ist die Autobahn ja gesperrt«, murmelte der Hauptkommissar unwillig vor sich hin.
    Als er aus dem Haus trat, krallte sich eine Hand in seinen Ärmel.
    »Das musste ja so kommen«, knatterte die Stimme des alten Mannes, dessen Finger sich in Nachtigalls Jackenstoff gegraben hatten. Ein hässliches Grinsen verzog die Lippen über seinem zahnlosen Mund. »Alle wussten es!«
    »Was wussten alle?«
    »Dass etwas Schreckliches im Hause Gieselke geschehen würde, natürlich! Die Todesvögel sind zurück. Ich höre sie seit Wochen!«
    »Die Todesvögel?«, fragte Nachtigall irritiert, während er mit sanftem Druck versuchte, die Hand des Unbekannten von seinem Arm zu lösen.
    »Aber ja! Sie fliegen wieder. Ihr schauerliches Geheul klingt weit über den Ort. Das ist ein Zeichen!«, wisperte der Mann aufgeregt.
    »Opa! Opa! Wo bist du?«
    »Man ruft nach Ihnen.«
    »Ja, ja. Das tun sie ständig. Kaum fünf Minuten Ruhe hat man. Sobald sie mich nicht mehr sehen, werden sie nervös«, kicherte er. »Aber der alte Walter hat sich noch nie getäuscht! Die Vögel jammern den Tod eines Gieselke herbei! Es hat auch diesmal gestimmt. Denken Sie an mich, junger Mann!«
    Der Hauptkommissar verkniff sich ein wehmütiges Schmunzeln. So hatte ihn schon lange niemand mehr genannt. Tja, dachte er, mit dem eigenen Altern verschiebt sich die Perspektive. Früher hatte er 30 bereits für die letzte magische Grenze vor der endgültigen Vergreisung gehalten, heute lag er deutlich jenseits der 30 und empfand sich gar nicht als alt. Na ja, korrigierte
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