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Gruene Armee Fraktion

Gruene Armee Fraktion

Titel: Gruene Armee Fraktion
Autoren: Wolfgang Metzner
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dann wieder zusammengeschoben. Ein Hund schoss auf ihn zu und knurrte böse. Das große Tier verfolgte ihn, als er mit weichen Knien zum Eingang lief. Der Kies knirschte zwischen nackten Beeten. Weil er keine Klingel finden konnte, musste er klopfen. Hinter der Tür war nichts zu hören, bis sie plötzlich aufging.
    »Haben wir gestern miteinander telefoniert?«, fragte die Frau, die ihm gegenüberstand.
    Sie war klein und unscheinbar, das Gesicht ungeschminkt, der Pagenkopf unauffällig. Um die vierzig Jahre mochte sie alt sein, und sie wirkte so zerbrechlich, dass er sich fragte, ob sie an Magersucht litt. Aber ihre Stimme verriet eine Kraft, die nicht zu ihrem ausgemergelten Körper passte.
    »Es wurde höchste Zeit, dass endlich etwas passiert.«
    Sie gab ihm eine zierliche Hand, während sie ihm in die Augen schaute. Dann ließ sie ihren Blick prüfend an ihm hinuntergleiten, an seinem schwarzen Sakko, dem anthrazitfarbenen Hemd, der dunklen Hose, die nicht mehr die jüngste war. Diese leicht verbeulte Eleganz hatte er längst getragen, bevor sie eine Art Szene-Uniform geworden war. Wie durch eine Laune passten die Farben perfekt in das Haus, in dessen düsteren Flur Mondrian nun geführt wurde. Nur die Fotos, die dort hingen, waren angestrahlt wie in einer Galerie.
    »Jan«, sagte die Frau leise und zeigte auf die Bilder eines strohblonden Jungen.
    Jan, breites Grinsen, Baseballkappe.
    Jan mit Helm und rasanter Sonnenbrille auf einem Rennrad.
    Jan, triumphierend, wie er auf einem Podium einen Pokal über dem Kopf schwenkt.
    »Er ist nur dreizehn Jahre alt geworden.« Die Stimme der Frau klang jetzt gepresst. »Und er ist nicht gestorben, sondern krepiert.«
    Sie wandte sich ab und zündete sich eine Zigarette an. Der Rauch roch nach Menthol.
    »Wollen Sie sein Zimmer sehen?«
    Mondrian folgte ihr auf einer engen Holztreppe nach oben. Es erstaunte ihn immer wieder, wie schnell Angehörige von Unfalltoten oder Verbrechensopfern einem Reporter ihre Türen öffneten. Und er hatte oft ein beklommenes Gefühl dabei, so einfach in ihre Leben einzudringen. Aber diese Frau wollte offenbar, dass er einen Blick in den Raum ihres gestorbenen Sohns warf.
    Sie führte ihn zu einer Kammer unter dem niedrigen Dach, an deren Tür drei Buchstaben aus Sperrholz klebten, »J A N«, mit einer Laubsäge ausgeschnitten und bunt bemalt. Dahinter schien alles so, als wäre es monatelang nicht berührt worden. Ein Bett aus Kiefernholz, auf dem ein einbeiniger Teddy neben einem Fantasybuch lag, noch ein Lesezeichen in der Mitte. Ein Schreibtisch mit aufgeschlagenen Schulheften und eine Playstation. Darüber ein Lance-Armstrong-Poster und gerahmte Urkunden, die der Junge bei seinen ersten Rennen gewonnen hatte.
    »Ich kann das einfach nicht wegräumen.« Die Frau unterdrückte ein Schluchzen. Mondrian schluckte und schwieg.
    »Wir sind extra aus Bremen hierher aufs Land rausgezogen, nachdem ich eine Stelle bei einem Tierarzt gefunden hatte. Es war nicht immer leicht für mich als alleinerziehende Mutter, aber ich dachte eine Weile, wir würden hier im Paradies leben. Bis diese Schmerzen bei Jan losgingen. Die Angst. Die unendliche Zeit in Krankenhäusern. Bestrahlungen und Chemo. Knochenmarkstransplantationen. Zuletzt war sein Leben kein Leben mehr, sondern nur noch eine einzige Quälerei.«
    »Woran ist er gestorben?«, fragte Mondrian vorsichtig, obwohl er die Antwort längst ahnte.
    »Leukämie. Und nicht nur er. Wissen Sie, wie viele Kinder hier im Umkreis an Blutkrebs erkrankt sind? Sechzehn!«
    Mondrian nickte. »Die größte Häufung solcher Fälle weltweit. Darüber gibt es mehrere Studien.«
    »Und die Leute, die dafür verantwortlich sind, sitzen da drüben.« Die Hand der Frau zitterte, als sie mit dem Zeigefinger aus dem Sprossenfenster Richtung Elbe wies.
    Am anderen Ufer, direkt gegenüber, lag das Kernkraftwerk Krümmel wie ein mächtiger Klotz am Elbhang. Die silbern schimmernde Metallhülle spiegelte sich in dem dunkelgrünen Strom.
    »Nein, nicht dort.« Die Frau war Mondrians Blick gefolgt. »Krümmel ist nicht der Killer. Das habe ich lange selbst geglaubt. Schon wegen der Pannen, die es da immer wieder gegeben hat. Zum Beispiel den Brand des Transformators.«
    Mondrian erinnerte sich daran, wie schwarzer Qualm aus dem Trafo-Haus ausgetreten war. Sogar der Reaktorfahrer hatte sich eine Atemmaske aufsetzen müssen.
    »Das war schon schlimm genug«, fuhr die Frau fort, »aber einen viel größeren Störfall hat es bei
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