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Grrrimm (German Edition)

Grrrimm (German Edition)

Titel: Grrrimm (German Edition)
Autoren: Karen Duve
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der Stube. Rotkäppchen saß völlig erstarrt und sah mich mit so großen, schreckgeweiteten Augen an, dass mir sofort klar war, dass hier etwas nicht stimmte. Die Großmutter stand immer noch an der Feuerstelle mit dem Rücken zu mir, und rührte im schwarzen Kessel, unter dem überhaupt kein Feuer brannte. Sie kicherte so albern vor sich hin, als hätte sie gerade einen unanständigen Witz gehört.
    »Guten Abend, Großmutter Uchatka«, sagte ich. »Ich bin gekommen, um dich zu warnen. Das Grab von Istvan Brani ist leer. Kann sein, dass er sich hier in der Gegend herumtreibt, und kann sein, dass ihm sein Leichentuch nicht mehr genügt.«
    Die Großmutter drehte sich um, und an Stelle des bekannten Faltengesichts mit der Brille starrte mich das Gesicht eines Mannes an, der aussah wie sieben Wochen lang begraben und wieder ausgebuddelt.
    Was wohl so ungefähr auch hinkam.
    »Istvan Brani, nehme ich an«, sagte ich.
    »Oh verdammt, jetzt hast du mich erwischt«, rief der Wiedergänger und riss sich die Haube vom Kopf. Er hob mit spitzen Fingern den Rock der Großmutter, tänzelte albern um mich herum und konnte überhaupt nicht aufhören zu kichern, wobei er auf ekelhafte Weise seine faulige Oberlippe hochzog und zwei lange spitze Eckzähne freilegte, während die Schneidezähne ein Stück in den Kiefer zurückgewichen schienen.
    Istvan Brani war erst vor Kurzem nach Vifor gezogen. Ich kannte ihn bloß aus Rotkäppchens Erzählungen, und da hatte sich das immer so angehört, als wäre er ein Mann im Alter ihres Vaters gewesen. Doch Brani war höchstens zwanzig – das konnte selbst die Verwesung, die bereits in seinem Gesicht eingesetzt hatte, nicht verbergen. Er warf sich auf den freien Stuhl gegenüber von Rotkäppchen, zog ihr den Teller weg und beugte sich darüber, wobei ihm seine dreckigen schwarzen Haare ins Gesicht fielen. Friedhofserde bröckelte auf den Tisch. Brani schlürfte und schmatzte, ohne einen Löffel zu benutzen. Ich erkannte jetzt, dass das auf den Tellern kein Gulasch war, sondern rohe Fleischbrocken, die in keiner anderen Soße schwammen als in rotem Blut. Nachdem der Wiedergänger geraume Zeit geschlürft hatte, warf er seine zottelige Mähne nach hinten und zeigte mit einem langen, gelben Fingernagel auf Rotkäppchen, die immer noch regungslos und weiß wie eine Wand auf den Tisch starrte.
    »Nun schau dir die Schlampe an – …«, sagte er, » … will das Fleisch ihrer Großmutter nicht essen.«
    »Du hast mir nicht erzählt, dass Istvan Brani so jung war«, sagte ich böse zu Rotkäppchen. »Gibt es vielleicht noch etwas, das ich wissen sollte?«
    »Dass ich so jung bin«, verbesserte Brani, stand auf und stellte sich hinter Rotkäppchens Stuhl. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und schabte mit den gelben Krallen zärtlich über ihren Hals. Als Rotkäppchen sich wegdrehen wollte, bohrte er ihr seine Fingernägel ins Fleisch und zog sie an sich.
    »Hat sie dir nicht erzählt, dass sie meine Braut ist? So ein verlogenes Biest. Aber wir haben sie trotzdem gern, nicht wahr?«
    Er zwinkerte mir zu, dann rauschte er im Kleid der Großmutter zur Feuerstelle, drückte sich an die Wand und glitt wie eine Eidechse im Inneren des Schornsteins hoch. Einen Augenblick später kam er die senkrechte Schornsteinwand wieder heruntergekrochen – mit dem Kopf voran. Das Großmutterkleid war ihm bis über die Schultern gerutscht. Darunter trug er seinen schmutzigen Beerdigungsanzug. Er hatte einen großen Leinensack dabei.
    »Lass uns darum kegeln, wer das Mädchen kriegt.«
    Brani sah nicht aus wie jemand, der sich an Spielregeln hielt, aber das hatte ich auch nicht vor.
    »Sind da Kegel drin? Dann bin ich dabei.«
    In diesem Moment öffnete Rotkäppchen zum ersten Mal den Mund.
    »Istvan war Jugendkreismeister im Kegeln.«
    »Egal«, sagte ich. »Wenn’s einfach wäre, würde es ja auch keinen Spaß machen.«
    »Das ist die richtige Einstellung«, rief der Wiedergänger und schüttete den Sack aus. Ein Haufen Knochen und zwei Schädel fielen heraus.
    »Hab ich vom Friedhof mitgebracht.«
    Er stellte die Knochen, bei denen es sich um neun an einem Ende abgeplattete Oberschenkelknochen handelte, in der Feuerstelle auf und räumte quer durch die Stube eine Bahn frei.
    »Acht Meter, mehr ist leider nicht drin«, sagte Brani, »aber durch den unebenen Belag wird es trotzdem spannend.«
    Er drückte mir einen Schädel in die Hand. »Jeder hundert Wurf. Wenn du gewinnst, lass ich dich mit Rotkäppchen
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