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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P
Autoren: Wein des KGB
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einen Abhang hinuntergerollt und beim Aufstehen über ein im Sand liegendes Kind gestolpert.
    »Nein, Grivot, in Ihrem Beruf gibt es zu viel Geheimniskrämerei. Sie haben allerdings im Gegensatz zu mir meistens mit Leuten zu tun, die das Risiko kennen und sich selbst dafür entscheiden. Das macht es leichter. Meine Opfer sind da weniger informiert. Die Akteure oder Strippenzieher des Elends befinden sich mehr auf Ihrer Seite. Dafür müssen Sie allen anderen ständig was vorspielen. Ist das auf Dauer nicht zu anstrengend?«
    »Ich habe Martin nicht nach Rumänien geschickt, er ist freiwillig gefahren. Er hätte mich fragen sollen, ich hätte ihm von dem Auftrag abgeraten.«
    »Mit welcher Begründung? Weil Sie wissen, wer hinterder SISA steckt?« Charlotte war überzeugt, dass er es wusste.
    »Ich weiß nicht mehr als Sie.«
    »Das glauben Sie doch selbst nicht.«
    »Wenn es eine unserer Agenturen oder Unterabteilungen wäre und ich davon gewusst hätte, das können Sie mir glauben, Charlotte, hätte ich Martin nicht reisen lassen, und vor allem würde ich Sie nicht zu einem derart gewagten Manöver wie diesem hier begleiten und mich schon gar nicht in Widerspruch zu unseren Prinzipien begeben.«
    Es erstaunte Charlotte, dass Grivot Prinzipien hatte. Davon abgesehen war sein Argument nicht von der Hand zu weisen. Sie starrte in die Nacht, sah nichts von der vorbeiziehenden Landschaft, dann blickte sie zum tausendsten Mal auf die Uhr und wieder nach draußen. Es gab nichts zu sehen, bis auf ein einsames Licht dann und wann und entgegenkommende Scheinwerfer. Die Spannung wurde unerträglich, sie äußerte sich in rasenden Nackenschmerzen. Würde Martin es schaffen? Ja, selbstverständlich. Sie sprach sich Mut zu und wagte nicht daran zu denken, was sein würde, wenn er nicht käme.
    Der Fahrer verringerte die Geschwindigkeit. Nieselregen setzte ein, und sie blieben in der Regenfahne des vorausfahrenden Lastwagens. Ans Überholen war wegen des Gegenverkehrs nicht zu denken. Eine Kolonne von Lastwagen kam ihnen entgegen. Als Charlotte den Blinker hörte, wusste sie, dass es so weit war. Das Warten würde ein Ende haben, auf die eine oder andere Weise. Wenn Martin nicht käme, würde sie reingehen, sie würde sich an keine Regel halten, sie wusste, wie der Apparat funktionierte, sie würde für Martin das tun, was er für Gaston getan hatte, ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben. Und Meyenbeeker würde ihr helfen. Grundsätzlich hielt sie nicht mehr viel von Journalisten: Sie schreiben das, wofür man sie bezahlt, sagte sie sich, aber es gibt Ausnahmen, und Meyenbeeker ist eine.
    Der Parkplatz rings um das Rasthaus war nahezu besetzt. Auf dem riesigen Ascheplatz vor den verrammelten Imbissbuden standen Lastwagen kreuz und quer, die Gespanne hatten sich in die kleinsten Lücken geschoben.
    »Westeuropa ist auf dem Weg hierher«, witzelte Grivot, und der Fahrer sagte etwas zu ihm, was Charlotte nicht verstand. Sie war zu müde und zu sehr mit sich beschäftigt, um danach zu fragen. »Und Ihr Mann will dabei nicht mitmachen?«
    »Ich glaube, wenn Sie die ganze Geschichte hören, Monsieur Grivot, werden Sie ihn verstehen, aber das ist mir auch egal. Das Wichtigste ist, dass Sie Ihr Versprechen gehalten haben und er heil rüberkommt.«
    Sie hielten vor dem Rasthaus, einem dreistöckigen verwinkelten Bau, der schon hier gestanden haben musste, als die Rote Armee bei der Vernichtung der Wehrmacht vorbeimarschiert war. Die Lichtreklame war viel später angebracht worden, zwei Buchstaben im Namen flackerten, zwei waren ausgefallen. Der Fahrer postierte den Wagen so, dass die von der Grenze kommenden Fahrzeuge gut zu sehen waren, aber die Scheinwerfer blendeten. Lastwagen auf Lastwagen rollte im Nieselregen vorbei, selten ein Pkw.
    Grivot stieg aus. »Ich werde mir die Beine vertreten.« Er schlug die Wagentür zu, schloss die Jacke, Charlotte sah das Schulterhalfter mit der Pistole. Sie hatte ihn nie bewaffnet gesehen. Der Fahrer hatte ihm die Pistole gleich nach der Ankunft auf dem Flughafen in Budapest zugeschoben.
    Grivot tauchte in den Schatten zwischen zwei Sattelzügen ein. Charlotte sah ihm nach, wahrscheinlich sondierte er die Lage oder traf einen Kontaktmann, den er hier postiert hatte. Vor fünf Jahren war sie Grivot zum ersten Mal begegnet, dann war er zu ihrer Hochzeit gekommen und erschien jedes Jahr extra aus Paris zum Sommerfest. Er kannte Gastons Kinder, er schrieb Weihnachtskarten und einen Gruß an den
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