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Grote, P

Grote, P

Titel: Grote, P
Autoren: Wein des KGB
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zerknautschte Jacke auf einen Bügel. Die Schuhe flogen in eine Ecke, sie genoss es, barfuß über die kühlen Fliesen zu laufen. Sie konnte hintreten, wo sie wollte, es gab keine Minen mehr, keine Skorpione und keine Fettnäpfchen. Sie lächelte, als sie in die Küche blickte, ihre Mutter hatte einen Strauß Sommerblumen zu ihrem Empfang auf den Tisch gestellt, das entschädigte ein wenig dafür, dass Martin sie nicht in die Arme nahm. Er machte ihr Sorgen. Seit Tagen hatten sie nicht miteinander gesprochen, von keiner Seite eine Nachricht, weder als SMS noch als E-Mail , nicht eine Telefonnummer gab es, weder privat noch die eines Hotels oder einer Kellerei. Und unter seinem Mobiltelefon hatte sich jemand anderes gemeldet. Lautlos zu verschwinden war nicht Martins Art. Da bahnte sich was an, nichts Gutes, sie hatte das bereits auf dem Flughafen gespürt, in dem Moment, als sie aus dem Flugzeug gestiegen war.
    Sie ging ins Büro, möglicherweise lag da eine Nachricht von ihm, ihre Mutter stapelte dort immer die Post, aber es gab lediglich eine Postkarte von ihm aus Constanţa. Er schickte immer Postkarten mit den geschmacklosesten Ansichten. Diese zeigte einen Mann auf einem Sockel   – Ovid.
    »Vielleicht dem Wein meines Lebens auf der Spur . . .«,hatte er geschrieben. Was für ein Unsinn, der Wein seines Lebens wuchs hier, der Merlot, seit Kurzem auch Cabernet Sauvignon, gleich hinter dem Haus, und Cabernet Franc würde später dazukommen. Charlotte sah die anderen Briefe durch, fast alle betrafen ihre Kellerei. Sie würde schon mal mit der Beantwortung beginnen und danach ihren Reisebericht über den Tschad für das Welternährungsprogramm schreiben. Davor graute ihr, und es widerte sie an, politische Rücksichten nehmen zu müssen und die tatsächlichen Schwierigkeiten und Versäumnisse nicht benennen zu dürfen, oder nur derart verklausuliert, dass es kaum jemand verstand. Hinzu kamen all die Fehler, die begangen wurden, weil dahinter die Interessen der Hilfsorganisationen und ihrer Regierungen standen. Letzteres war der Stoff für ihren inoffiziellen Bericht, und der ging an Freunde bei diversen Organisationen. Sicher las das DGSE mit, das tat der französische Geheimdienst immer, seit sie vor vier Jahren ihren Job als Staatssekretärin im Entwicklungsministerium hingeschmissen hatte. Natürlich war ihr Abgang lange zuvor geplant gewesen, doch sie hatte niemanden in ihr Vorhaben eingeweiht, nicht einmal ihre Freunde in Paris. Von Martin wusste sie, dass es die Republikflüchtlinge der DDR genauso gemacht hatten, denn nicht einmal die Eltern hatten von den Fluchtplänen wissen dürfen.
    Am liebsten hätte sie sich jetzt ins Badezimmer begeben, lange gebadet, sich die Haare gewaschen, die Fingernägel lackiert, ihre Haut brauchte nach der extremen Sonne dringend Pflege – aber diese diffuse Unruhe statt der Erleichterung, zu Hause zu sein, ließ sie nervös sämtliche Zimmer inspizieren. Ohne Martin war das Haus zu groß, viel zu groß. Sie zog Jeans an und feste Schuhe und trat ins Freie. Der Weg nach rechts, vorbei an der Garage mit dem Wein, führte zum Haus ihrer Eltern. Es waren keine zehn Minuten zu gehen.
    Die Begrüßung war herzlich wie immer, aber statt vonder Reise zu berichten, fragte sie nach Martin. Ihre Eltern hatten genauso wenig von ihm gehört wie sie.
    »Sollten wir uns Sorgen machen?«, fragte Jérôme. »Weißt du mehr? Wo war er zuletzt?«
    »Ich habe vor fünf Tagen mit ihm gesprochen, er war in einem Ort namens Ploieşti. Ich habe zwei Mobilnummern von ihm, auf einer hat sich jemand anderes gemeldet, das andere ist tot.«
    »Das klingt nicht gut«, pflichtete auch ihre Mutter bei. »Was habt ihr für den Notfall vereinbart?«
    In dem Moment hörten sie einen Wagen vorfahren. Jacques stieg aus und mit ihm ein Mann, klein, untersetzt, dunkelhaarig, den weder Charlotte noch ihre Eltern je gesehen hatten. Jacques hingegen kannten sie, er war Charlottes Schülerliebe auf dem Gymnasium gewesen, und heimlich himmelte er sie noch immer an. Die beiden Männer blickten ernst, gute Nachrichten waren von ihnen kaum zu erwarten, und Jacques hielt sich nicht mit Floskeln auf.
    »Der Herr hier«, er wies auf seinen Begleiter, »das ist Grigore Constantinescu. Er hat letzte Nacht ausführlich mit Martin gesprochen und mit seinen Verwandten in Rumänien, die ihn bei sich aufgenommen haben, oder soll ich besser sagen, ihn versteckt halten? Es müssen sich ziemlich schlimme Dinge zugetragen haben.
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