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Großstadt-Dschungel

Großstadt-Dschungel

Titel: Großstadt-Dschungel
Autoren: Sarah Mlynowski
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schon.“
    „Nein.“
    „Nimm den Hörer, Iris!“ brüllt Janie durchs Telefon. Iris schüttelt den Kopf.
    Ich nehme das Gespräch wieder auf. „Sie ist unter der Dusche.“
    „Hör auf zu lügen.“
    „Sie ist sauer auf dich. Sie will nicht nach Phoenix.“
    „Warum nicht? Es ist ein wunderschöner Staat.“
    „Weil sie sechzehn ist. Und in diesem Alter sind Freunde sehr wichtig. Sie ist in den letzten zehn Jahren eine Million Mal umgezogen, und ich glaube, sie hat einfach keinen Bock mehr.“
    „Leider aber ist sie nicht diejenige, die die Entscheidungen trifft.“
    „Findest du nicht, dass du etwas ungerecht bist? Sie mitten im Jahr zum Umziehen zu zwingen?“
    „Was meinst du mit mitten im Jahr? Wir müssen ja noch das Haus verkaufen. Das wird mindestens ein paar Monate dauern, und ich werde bei ihr bleiben, bis sie ihr Schuljahr an der Junior High abgeschlossen hat.“
    „Ich werde an der neuen Schule total versagen!“ schluchzt Iris.
    „Ich kann sie hören. Sie ist nicht unter der Dusche!“
    Ich werfe Iris einen Blick zu und verhandle weiter mit Janie. „Du willst also bis zum Sommer warten?“
    „Natürlich. Ja.“
    Ich wende mich wieder meiner schluchzenden Schwester zu. „Warum stellst du dich bloß so kindisch an?“
    Sie greift nach dem Hörer. „Ich hasse dich! Ich will nicht den ganzen Sommer mit dir reden müssen! Und das ganze Jahr an der Senior High. Ich will nicht wieder umziehen. Da wohne ich lieber bei Jackie! Sie hat mich wenigstens lieb. Sie macht sich wenigstens Gedanken um mein Glück!“ Sie knallt den Hörer auf.
    Die Therapie wird sie ein Vermögen kosten.
    „Bitte, lass mich bei dir wohnen. Bitte!“ bettelt sie.
    Ich habe Mitleid mit ihr. Wirklich. Aber was soll ich machen? „Ich kann mich nicht um dich kümmern.“
    „Ich bin sechzehn. Man muss sich nicht um mich kümmern. Und was sollst du sonst machen? Sam zieht bald aus, und du hasst das Alleinleben.“
    „Was glaubst du? Dass das Apartment umsonst ist? Ich habe es dir schon gesagt, ich kann für uns beide die Miete nicht zahlen.“
    „Und wenn ich die Schule schmeiße und arbeiten gehe?“
    „Ja, sicher, so stelle ich mir das vor, du schmeißt die Schule. Bist du verrückt? Es ist nur noch ein Jahr, Iris. Dann gehst du aufs College. Zähl mal eins und eins zusammen.“
    Sie dreht sich um und fängt an, in die Kissen zu heulen. Ich erinnere mich an ihren ersten Schultag in Boston. Ich hatte noch Sommerferien, aber die Junior High School hatte schon angefangen. Ich saß in Janies Auto und wartete darauf, dass sie mir die Ereignisse des Tages berichtete. Sie war so aufgeregt und nervös gewesen, als sie an dem Morgen das genau richtige Outfit zusammenstellte: ihre Calvin-Klein-Hosen und ein taillenfreies Top.
    „Und, wie war’s?“ hatte Janie bedeutungsvoll gefragt.
    Iris brach in Tränen aus: „Niemand hat den ganzen Tag ein Wort mit mir gewechselt. Mittag musste ich auf der Toilette essen, damit ich in der Cafeteria nicht allein am Tisch sitze.“
    Ich kann es nicht ertragen, wenn sie weint. Es bringt mich um. Ich sehe auf ihren unter Schluchzern zuckenden Körper. „Was, wenn du den Sommer über hier bleibst? Wirst du dann mit Janie umziehen?“ Ich kann nicht glauben, dass ich das gesagt habe. Meine Schwester und den ganzen Sommer hier sein? Habe ich den Verstand verloren? Warum schlucke ich nicht gleich ein Röllchen Tabletten? Das Ergebnis wäre dasselbe. Janie hat mal gesagt, dass Iris sicher ihr einziges Kind geblieben, wenn sie die Erstgeborene gewesen wäre. Ich fürchte, nach dem Sommer
wird
sie das einzige Kind sein.
    Sie hört auf zu weinen. „Ich darf den Sommer über hier sein?“
    „Vielleicht. Aber du musst für deinen Teil der Miete aufkommen und dir deine eigenen Lebensmittel kaufen. Also musst du dir einen Job suchen. Und du bekommst Ausgeh-verbot.“
    „Ich habe zu Hause auch kein Ausgehverbot.“
    „Solltest du aber. Ich hatte es. Du hast dich an meine Regeln zu halten, tust du das nicht, sitzt du im ersten Flieger nach Phoenix.“
    „Meinst du das ernst? Würdest du mich wirklich hier wohnen lassen?“
    „Für den Sommer. Nur für den Sommer.“
    Ich rufe Janie wieder an und bringe sie auf den neusten Stand der Dinge.
    „Du kannst dich noch nicht mal um eine Schildkröte kümmern. Wie dann erst um einen Teenager?“
    „Ich war zehn, und die Schildkröte ist weggelaufen. Es war nicht meine Schuld.“
    „Ich halte das für keine gute Idee.“
    „Warum nicht? Es gibt uns die
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