Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder
Autoren: Oggi Enderlein
Vom Netzwerk:
letzte Wort müssen sie haben. Aber dass sie mal das tun, was man von ihnen will, das kann man vergessen.
    So denkt jeder vom anderen im Grunde dasselbe und jeder erwartet vom anderen den ersten Schritt. Die Jugendlichen werden diesen Schritt nicht gehen (können). Das wäre auch zu viel verlangt   – selbst wenn sie sich noch so »erwachsen« fühlen und verhalten.
    Was können die Ewachsenen tun?
    Erwachsene können etwas sehr Einfaches, aber sehr Wichtiges tun: zuhören. Allerdings muss man wissen, dass Dreizehnjährige, wenn sie schon mal anfangen zu erzählen, meistens über Belanglosigkeiten reden. Und dann ohne Punkt und Komma. Man hört zu und denkt immer: Na und? Warum erzählst du mir das jetzt, das ist doch alles überhaupt nicht wichtig und interessieren tut es mich schon gar nicht (die ganze Handlung irgendeines Films zum Beispiel). Die Versuchung, solche »Gespräche« abzubrechen   – man hat schließlich Wichtigeres zu tun   – oder nicht mehr richtig hinzuhören, ist vertrackt groß.
    Und genau da liegt die Falle. Mehr oder weniger bewusst stellen die Dreizehnjährigen mit ihren »unwichtigen« Geschichten nämlich nur ihre allerwichtigste Kernfrage an uns: Interessiere ich dich überhaupt? Nimmst du mich ernst? Oder bin ich dir im Grunde nur lästig und nur dann für dich interessant, wenn ich etwas erzähle, was
du
für »wichtig« hältst?
    Wenn Jugendliche die Erfahrung machen, dass man ihnen zuhört und dass sie nicht bewertet werden, dann fühlen sie sich nicht nur »wie Erwachsene« behandelt und angenommen, sondern erst dann trauen sie sich erfahrungsgemäß auch mit Dingen heraus, die vielleicht nicht so ganz in Ordnung warenoder die für sie Fragen aufwerfen. Dann erzählen sie schon mal von ihren Schandtaten, von dem Unsinn, den sie in der Schule gemacht haben, von ihren Streifzügen und Abenteuern zusammen mit den Freunden oder von anderen Vorkommnissen, die aus Sicht der Erwachsenen zu tadeln wären.
    Kaum jemals wird ein dreizehnjähriger Junge oder ein dreizehnjähriges Mädchen einem Erwachsenen, der »Erziehungsverantwortung« trägt, etwas über sich erzählen. Welche Fragen und Probleme eine(n) dreizehnjährige(n) Jugendliche(n) beschäftigen, wird man als Vater oder Mutter bestenfalls »zwischen den Zeilen herauslesen« können. Wenn Dreizehnjährige (und Ältere)   – egal bei wem   – mal heikle Dinge herauslassen, dann steht immer unausgesprochen die Frage dahinter: Kann ich mich auf dich verlassen oder wirst du mich verraten? Wirst du mich abkanzeln, gar bestrafen, oder kannst du es aushalten, dass ich anders bin, als ich es in deinen Augen sein sollte? Willst du mich noch erziehen oder kannst du mir das auch schon selbst überlassen?
    Wenn Jugendliche von kritischen Begebenheiten berichten, dann steckt dahinter meistens aber auch die Hoffnung, dass der Erwachsene zwar nicht tadelt oder bestraft, aber doch klar sagt, was er davon hält. Auch Jugendliche brauchen die Erwachsenen, um sich an ihnen zu orientieren, wollen von den Erwachsenen hören, was richtig und was falsch ist   – und sie sind in der Regel auch bereit, die Konsequenzen zu tragen, die sich unmittelbar aus ihren Schandtaten ergeben.
    Aber sie wollen eines nicht: von den Erwachsenen »erzogen« zu werden. »Erziehung« nervt! Erziehung ist etwas für kleine Kinder!   – Und ist auch gar nicht so wichtig, denn mit der Zeit werden selbst Dreizehnjährige erwachsen, vorausgesetzt, sie hatten eine Kindheit, in der ihre individuelle Persönlichkeit gestützt, aber »ungestutzt« heranwachsen konnte.

Die neue Welt
    H ier endet diese »Entwicklungsgeschichte«. Sie fragen sich vielleicht: Weshalb gerade mit 13   Jahren? Sind Dreizehnjährige nicht längst mitten in der Pubertät, sind nicht sogar Zwölfjährige schon Jugendliche? Oder sehen Sie es umgekehrt: Finden Sie, dass Kindheit erst mit 14   Jahren abgeschlossen ist? Hat es nicht seine guten Gründe, dass der Übergang zum Erwachsenenalter in vielen Kulturen mit besonderen Festen im Alter von 14, manchmal sogar erst mit 15   Jahren gefeiert wird (zum Beispiel mit Konfirmation, Firmung oder Jugendweihe)? Ist nicht der traditionelle Hauptschulabschluss mit 14   Jahren die eigentliche Grenze zwischen Kind und Jugendlichem beziehungsweise Erwachsenem?
    In der technisierten modernen Welt hat sich die Kindheits- und Jugendphase äußerlich tatsächlich verschoben. Durch das moderne Bildungssystem hat sich vor allem die Jugendzeit erheblich ausgedehnt.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher