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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder
Autoren: Oggi Enderlein
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aller Kindlichkeit, dafür stark genug fühlte.
     
    Dieses Gefühl der Dreizehnjährigen, jetzt Verantwortung tragen zu können und mit den Erwachsenen gemeinsam zuständig zu sein für alle möglichen Dinge, beobachten auch heutzutage viele Eltern: Ihre Söhne und Töchter wissen »viel besser«, wo man günstig einkaufen kann, welcher der kürzeste oder der schnellste Weg mit dem Auto ist, wie man Spaghetti richtig zubereitet, und sagen den Eltern, was sie anziehen sollen   ...
    Ob es um die Planung der Urlaubsreise geht oder um den Kauf eines Autos, um die Anschaffung eines Computers oder um die Menge der Hausaufgaben: Dreizehnjährige wollen nicht nur gefragt werden, wie jüngere Kinder, sondern sie möchten
mitbestimmen
, sich mit ihrer Meinung
durchsetzen
. Und dazu führen sie die »letzten« Argumente ins Feld. Das häufigste Argument dabei dürfte weltweit sein:
Alle dürfen
(in die Spätvorstellung des Kinos gehen)
alle haben
(die eine bestimmte, teure Jeans),
keiner muss
(beim Schulfest helfen) usw.
    Dreizehnjährige fühlen sich im Recht. Entsprechend schwierig ist es, mit ihnen Kompromisse zu finden. Und entsprechend wichtig ist es, dass in strittigen Fällen am Ende doch der Erwachsene die Entscheidung trifft und klar sagt, wo’s langgeht.
    Manchmal gehen Dreizehnjährige so weit, dass sie die Angelegenheiten der Erwachsenen in ihre Hand nehmen und sogar über die Erwachsenen bestimmen wollen   – nicht nur, was das Outfit betrifft. Das kann natürlich zu heftigen Konflikten führen.
    Aber auch das war offenkundig schon früher so, wie zum Beispiel aus den Erinnerungen von Wladimir Lindenberg hervorgeht. Allerdings haben nicht alle Dreizehnjährigen Mütter oder Väter, die ihren Kindern so ernsthaft zuhören wie die Mutter des herangewachsenen, etwa dreizehnjährigen Bobik:
     
    Bobiks Gesicht war ernst und wichtig.
    »Verzeih, Mami, aber ich muß dich jetzt sprechen. Es ist sehr wichtig. Ehrenwort. Und du mußt mich anhören bis zu Ende, bitte!«
    »Was hast du denn so schrecklich Wichtiges, Bobik. Na, dann setz dich hin.«
    »Ich muß mit dir über ›ihn‹ sprechen«, er wollte Karluscha nicht beim Namen nennen. »Du weißt genau, wie er sich benimmt und daß alle Leute darüber sprechen. Das geht so nicht weiter.«
    »Aber, Bobik, ich glaube, das ist nicht deine Sache!«
    »Das ist genau so gut meine Sache wie deine. Wir sind alle beteiligt. Oder glaubst du wirklich, daß wir danebenher leben und nichts merken? Dann tätest du mir leid!«
    »Was soll ich denn aber machen?«, sagte Jadwiga verzweifelt. »Ich kann es doch nicht ändern. Soll ich mich auf seine Stufe stellen und Skandale provozieren?«
    »Du sollst dich scheiden lassen.«
    ...
    »Ich muß es mir überlegen, Bobik. Laß mir Zeit.«
    »Da ist nichts zu überlegen. Du hast nur Angst und gehst den Entscheidungen aus dem Wege. Du wirst es heute tun!«   – Er war sehr streng, und er fühlte plötzlich, daß er ein Erwachsener war und daß die Mutter ihn als Erwachsenen behandelte. Das gab ihm eine große Genugtuung, aber es machte ihn gleichzeitig auch traurig.
(Lindenberg, S.   159   ff.)
     
    Das ist die Kehrseite der Medaille, wenn man in eine neue Lebenswelt vordringt: Das ist nicht nur Vergnügen, das ist auch eine gehörige Belastung, das kann sogar Angst machen, zumindest große Sorgen bereiten. Dreizehnjährigen wird plötzlich sehr bewusst, was es bedeuten muss, »erwachsen« zu sein.Angesichts des Lebens der Erwachsenen ist das für viele keine fröhliche Aussicht. Das hat zum Beispiel auch Simone de Beauvoir so empfunden:
     
    Die Einförmigkeit der Existenz der Erwachsenen war mir immer schon bemitleidenswert erschienen, wenn ich mir klarmachte, daß sie in Kürze auch mein Los sein würde, wurde ich von Angst gepackt   ...
(Beauvoir, S.   99)
     
    Der Übergang in die neue Lebenswelt äußert sich bei manchen Dreizehnjährigen, indem sie sich zurückziehen, verkriechen, stumm werden   – zumindest, wenn es um ihren Umgang mit Erwachsenen geht. Unter Gleichaltrigen tauen die in sich verschlossenen Jugendlichen oft erstaunlich auf. Und so ist es kein Wunder, dass sich viele Dreizehnjährige dort wohler fühlen, wo sie nicht mit Erwachsenen zusammenkommen, dass sie, so oft sie können, von zu Hause weg- und ihre eigenen Wege gehen.
    Weil es Dreizehnjährige zuweilen wirklich schwer haben mit sich und der Welt, sind sie häufig außerordentlich empfindlich und verletzbar. Simone de Beauvoir erinnert sich:
     
    Ich
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