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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder
Autoren: Oggi Enderlein
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den Erwachsenen auch mitteilen!
     
    Wieder ist die Beschreibung von Janina David, diesmal drei Monate vor ihrem 13.   Geburtstag, sehr bezeichnend. Wenn man vergleicht, wie sie ihren Vater mit knapp 12   Jahren gesehen hat (vgl. Zitat auf S.   251), wird der Entwicklungsschritt vom »Zwölf-« zum »Dreizehnjährigen« besonders deutlich:
     
    Ich hatte für Vater ein Gedicht geschrieben und es bis zu seinem Geburtstag in einem Koffer versteckt. Wie üblich bei solchen Anlässen, schrieb ich über meine Liebe zu ihm und von meinen Wünschen für seine glückliche Zukunft. Aber zum ersten Mal behandelte ich meinen Gegenstand mit etwas leichterer Hand und warf ihm, wenn auch durch die Blume, sein diktatorisches Benehmen vor, nannte ihn abwechselnd den vollkommenen Vater und dann wieder Iwan den Schrecklichen   ...
    Aber am Tag vor seinem Geburtstag fand Vater das Gedicht, als er irgend etwas in dem Koffer suchte. Er las es und explodierte.
    Also war es schon so weit gekommen, daß sein eigenes Kind ihn zu kritisieren wagte!
    Mir blieb der Mund offen. Daß Vater, der doch immer so schnell bereit war, sich über andere lustig zu machen, meine Absicht so völlig mißverstehen konnte, daß er etwas so ernst nahm, was doch nur als Witz gemeint war, das war mir ganz neu und völlig unglaublich.
(David, S.   350)
     
    In dieser Erinnerung wird auch das häufige und tragische Missverständnis zwischen Dreizehnjährigen und ihren Eltern sichtbar: Dreizehnjährige sind der festen Überzeugung, dass sie nichts anderes tun, als sich »wie Erwachsene« zu benehmen. Aber die Erwachsenen erwarten nach wie vor »kindliches« Verhalten und fallen bei den ersten, meistens tollpatschigen oder unangemessenen Kritikversuchen ihrer »Kleinen« aus allen Wolken. (Bitte übrigens nie mehr das Wort »Kleine« für Dreizehnjährige verwenden!)
    Damit Menschen überhaupt Kritik üben können, müssen sie eine bestimmte innere Kraft und Reife haben, mit der sie dem anderen auf gleicher Ebene entgegentreten können. Diese Kraft haben Zwölfjährige in der Regel noch nicht. Wenn sie »kritisieren«, dann »motzen« sie, genauso wie die Jüngeren. Dreizehnjährige dagegen begründen ihre Kritik und tragen sie mit Nachdruck vor.
     
    Ein schönes Beispiel für die Wandlung von der noch kleinen, schutzbedürftigen Zwölfjährigen zur kraftvollen, sich widersetzenden Dreizehnjährigen   – beides ist gleichzeitig da   – ist das folgende Zitat einer 1924 geborenen italienischen Frau, die in außerordentlich armen Verhältnissen herangewachsen ist und schon als Kind sehr hart arbeiten musste, um etwas zum Unterhalt der Familie beizutragen. Die Mutter war der geachteteMittelpunkt der Familie, der Vater stand abseits und war als prügelnde »Autorität« gefürchtet.
     
    In Dossello lebte ich bis dreizehn, dann suchte ich mir auswärts eine Arbeit. Drei oder vier Jahre war ich zur Schule gegangen, bis ich zehnjährig war. Gewiß, schon vorher hatte ich gearbeitet; aber als ich dreizehn war, sagte mein Vater, nun müsse ich mein Brot verdienen. Zwar war ich noch ein richtiges Kind; es war nicht wie heute, wo Burschen und Töchter früher reif sind. Mit dreizehn war ich noch ein Matz, dem nur auf Mutters Schoß wohl war. Doch ich ging weg. Vater sagte, ich müsse arbeiten, wir hätten nicht genug zum Leben; wenn ich Kleider wolle, so müsse ich sie selbst verdienen, sonst kleide er mich in Sacktuch. Ich begann zu weinen: »Ja, ich gehe. Doch wenn ich wiederkomme, dann wegen der Mutter, nicht deinetwegen. Du hältst mir stets die paar Bissen vor, die du mir zu essen gibst. Obschon ich das selber verdiene; ich gehe mit dir Holz sammeln und verkaufen; Mario und ich helfen dir, und du gibst uns nie ein paar Lire, um ein Eis zu kaufen. Mir scheint, das wenige, was ich esse   ... Ich suche Kastanien, bringe sie dir nach Hause; von morgens bis abends mit einer Scheibe Polenta im Rucksack, den lieben Tag lang im Wald für ein paar Kastanien. Ich habe nicht das Gefühl, auf deine Kosten zu essen. Doch ich gehe.«
(Belotti, S.   33   ff.)
     
    Die Autorin würde sich sicher nicht so lebhaft an diese Auseinandersetzung mit dem Vater erinnert haben, wenn damals nicht etwas ganz Besonderes, etwas vollkommen Neues für sie passiert wäre: Sie hatte ihrem Vater zum ersten Mal die Stirn geboten und ihm darüber hinaus zu verstehen gegeben, dass sie aus
eigener
Entscheidung und nicht auf Befehl des Vaters aus dem Haus gehen würde   – weil sie sich, trotz
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