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Große Kinder

Große Kinder

Titel: Große Kinder
Autoren: Oggi Enderlein
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wurde häßlicher, meine Nase rötete sich; auf Gesicht und Nacken bekam ich Pickel, an denen ich nervös herumkratzte. Da Mama die Arbeit über den Kopf wuchs, ging ich schlecht gekleidet; die formlosen Sachen, die ich trug, betonten mein linkisches Benehmen. Da mein Körper mich behinderte, entwickelten sich bei mir verschiedene krankhafte Aversionen; so ertrug ich zum Beispiel nicht, aus einem Glas zu trinken, aus dem schon jemand getrunken hatte. Ich bekam auch Ticks: unaufhörlich zuckte ich mit den Schultern oder drehte an meiner Nase. »Kratz nicht an deinen Pickeln, dreh nicht an deiner Nase«, sagte mein Vater immer wieder zu mir. Ohne
böse Absicht, aber auch ohne Schonung, machte er über meinen Teint, meine Akne, meine Tolpatschigkeit Bemerkungen, durch die mein Unbehagen und meine Manien auf die Spitze getrieben wurden   ...
(Beauvoir, S.   97)
     
    Das sind leidvolle Erfahrungen, die auch heute noch so viele junge Mädchen und Jungen ausstehen müssen, weil ihre Eltern keine Vorstellung (mehr?) haben, wie man sich als dreizehnjähriger Mensch fühlt und wie dünn die Haut ist, in der man steckt.
    Die Situation des Dreizehnjährigen ist vielleicht vergleichbar damit, was die Seefahrer an Bord der Schiffe von Kolumbus erlebt haben: Die vertraute Alte Welt liegt weit zurück, der »Point of no Return« ist überschritten, es gibt nur die »Wahl« weiterzufahren. Aber neues Land ist nicht in Sicht   – und es scheint sogar für manche fraglich, dass es jemals wieder festen Boden unter den Füßen geben wird: Womöglich wird man von jetzt an auf sich ganz allein gestellt und ohne recht zu wissen wohin, bis ans Lebensende ziellos dahindümpeln.
    In solchen Situationen haben Pessimisten die Wahl zwischen Resignation und Rebellion, und Optimisten werden entweder mit einer trotzigen Dickköpfigkeit reagieren oder eine Zuversicht zur Schau stellen, die auf andere wie eine maßlose Selbstüberschätzung wirken muss.
    In dieser Verfassung tut die Führung eines sicheren Kommandanten gut, der die Nöte und Zweifel ernst nimmt, der aber bei aller Auflehnung das Ruder nicht aus der Hand gibt. Stellen Sie sich vor, Kolumbus hätte den Meuterern nachgegeben   – alle wären zugrunde gegangen. Und stellen Sie sich vor, Kolumbus hätte die ganze Mannschaft in Fesseln gelegt   – auch dann wäre er nicht ans Ziel gekommen. Wenn zu Beginn der Pubertät etwas schief läuft in der Entwicklung von Jugendlichen, dann liegt das meistens daran, dass sie entweder zu vielFreiheit und Macht haben oder dass zu autoritär über sie verfügt wird. Dreizehnjährige brauchen einerseits die verantwortliche
Begleitung
von Erwachsenen (ich vermeide hier bewusst das Wort »Erziehung!«). Sie brauchen ganz sicher mehr Freiräume und viel mehr Zugeständnisse als früher. Aber in dieser Lebensphase allein gelassen zu werden und niemanden zu haben, der einem Halt und Orientierung gibt, das wäre genauso furchtbar wie zu große Strenge.
    Das größte »Problem« für Dreizehnjährige sind tatsächlich die Erwachsenen: Die nerven total! Die kapieren nämlich echt gar nichts! So was Beknacktes wie die, das gibt’s überhaupt nicht! Die Lehrer: echt ätzend. Immer meinen die, sie wüssten alles besser und wenn man mal versucht, denen zu erklären, was Sache ist, blicken sie’s keinen Meter! Ne, echt, das macht überhaupt keinen Bock, sich mit denen abzugeben, die sind total schwachsinnig! Bei manchen kannste voll Scheiß bauen, und die peilen das nicht mal. Echt cool so was! Ne, ey, andere sind voll gemein! Die meinen, sie wären die Größten und müssen immer gleich voll die Strafe austeilen. Und sonst? Na ja, paar sind ganz o.k., die verstehen, wenn man nicht gut drauf ist oder Scheiß gemacht hat, die haben auch Humor und meckern nicht gleich, aber die meisten kann man echt vergessen.
    Und die Erwachsenen denken: Mit den Dreizehnjährigen ist es schwierig: Sie sind furchtbar anstrengend und nervend! Sie denken immer, sie wüssten alles besser! Wenn man mit ihnen redet, hat man das Gefühl, es geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Als rede man gegen eine Wand. Oder sie drehen einem das Wort im Mund herum: unglaublich! Dabei müssten sie doch selbst sehen, was sie mit ihrem Unfug, ihrer Unordnung und Rücksichtslosigkeit anrichten und dass sie nun mal lernen müssen für die Schule. Aber was man sagt, ist verkehrt. So was Freches und Unverschämtes, das gibt’s überhauptnicht. Argumentieren, ja, das können sie, und das
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