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Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)

Titel: Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)
Autoren: Bernd Frenz
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Schauer über den Rücken. Noch ehe sich seine Wangen röten konnten, griff Elra nach dem Lederband um seinen Hals und ließ den Anhänger durch ihre Finger gleiten. Beim Anblick der verschnörkelten Buchstaben, die auf der Rückseite eingraviert waren, weiteten sich ihre Augen kaum merklich.
    »Bero!«, las sie dabei laut vor. »Das ist also dein Name!«
    »Tat … Tatsächlich?«, stammelte er nur.
    »Ja, weißt du das denn gar nicht?«, fragte Elra und ließ dabei – zu seinem größten Bedauern – von ihm ab.
    »Nein!« Traurig schüttelte er den Kopf. »Ich bin doch ein Findling!« Zum ersten Mal seit langer Zeit kam ihm das Wort selbst über die Lippen.
    »Dann kennst du auch gar nicht das grüne Auenland jenseits des Meeres, in dem die deinen wohnen?«
    Diesmal schüttelte er nur stumm den Kopf, denn er spürte, dass ihm ohnehin die Sprache versagen würde. Mühsam kämpfte er gegen die Tränen an, die in ihm aufzusteigen drohten, anstatt von den Träumen zu erzählen, von denen außer ihm nur Urna wusste.
    »Wir können dich mitnehmen«, bot Nemru überraschend an, »wenn wir über das Meer zurückkehren.«
    Der Halbling wusste gar nicht, wie ihm geschah.
    »Wir haben zuvor aber noch etwas zu erledigen«, schränkte Elra ein. »Etwas, bei dem du uns vielleicht sogar helfen kannst.« Sie sah immer noch freundlich aus, obwohl das Lächeln aus ihrem Gesicht gewichen war.
    »Was …«, begann der Halbling vorsichtig.
    »Nichts Schwieriges«, versicherte Nemru sofort. »Falls wir deine Hilfe überhaupt brauchen! Aber allein für deine Unterstützung würdest du mit der Überfahrt belohnt werden.«
    Zweifelnd sah Helbrecht von ihm zu Elra, die ihm aufmunternd zunickte.
    »Du kannst uns vertrauen«, versicherte sie dabei. »Und du kannst es dir in Ruhe überlegen. Unser Schiff liegt am Strand. Komm einfach nach Anbruch der Dämmerung zu uns, oder wir legen nach Einsetzen der Ebbe ohne dich ab.«
    Ohne weitere Erklärungen abzugeben, erhob sie sich. Meron beglich noch die Zeche, bevor sie alle drei die Schankstube wieder verließen. Der Halbling starrte noch eine ganze Weile auf die ins Schloss gefallene Tür, dann ging er zu dem verwaisten Tisch der Elben, nahm einen der unberührt gebliebenen Krüge und stürzte das Schwarzbier in einem Zug hinunter. Nachdem er auch den zweiten Humpen geleert hatte, ging es ihm ein wenig besser, doch es dauerte noch eine ganze Weile, bis er das ganze Ausmaß von Elras Worten begriffen hatte.
    Sein richtiger Name lautete Bero und nicht Helbrecht! Und seine Eltern hatten ihn bestimmt nicht auf dem Meer ausgesetzt, denn für sie war er kein hässlicher Balg mit zu groß geratenen Füßen, sondern ein Kind, das ihnen bis aufs Haar ähnelte. Außerdem gab es andere seiner Art. Er war also nicht dazu verdammt, ein Leben lang zu größeren Menschen aufzublicken.
    Er musste nur den Mut aufbringen, sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen.
    Nach einer kurzen Nacht, in der er von einem grünen Auenland träumte, erwachte der Halbling beim ersten Hahnenschrei. Als er mit zerzaustem Haar in die Küche kam, stellte er fest, dass ihm Urna bereits einen ledernen Beutel mit frischem Brot, gekochten Eiern und einem großen Mett-Ende gepackt hatte. Ihre Augen waren gerötet. Ob vom vielen Weinen oder einfach nur, weil sie noch nicht geschlafen hatte, ließ sich nicht genau sagen. Auf jeden Fall zweifelte sie offensichtlich nicht im Geringsten daran, wie sich ihr Ziehsohn an diesem Morgen entscheiden würde.
    Dankbar nahm er den heißen Tee an, den sie ihm reichte und der sogar mit ein wenig Honig gesüßt war. So sehr, wie sie sich zum Abschied um ihn bemühte, hätte er beinahe vergessen können, dass sie ihn mit fast ebenso harter Hand erzogen hatte wie Orm. Aber eben auch nur beinahe …
    Sein Ziehvater, der ebenfalls übernächtigt am Tisch saß, verfolgte mit stillem Groll, was vor sich ging. »Was glaubst du eigentlich, warum dich die Elben hier aufgestöbert haben?«, brach es nach einer Weile aus ihm hervor. »Sicherlich wollen sie dich nur in einen Kessel mit heißem Wasser stecken, um aus dir einen Trank zu brauen, der ihnen die Jugend erhält!«
    Der Halbling trank den wärmenden Tee bis auf den letzten Schluck aus, bevor er Orm ansah. »Ich weiß, warum du so schlechte Laune hast«, erklärte er schadenfroh. »Du brauchst ab heute Abend einen neuen Schankknecht, und zwar einen, den du von nun an bezahlen musst.«
    Orm verzog das Gesicht wie unter starken Schmerzen und sprach kein
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