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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens
Autoren: Michael Lutz
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ihr verhielt es sich wie bei
Bedri Rugova, es waren ebenfalls nur spärliche Informationen vorhanden. Gromek
las laut: »Lisa-Marie Delius, 34 Jahre, verheiratet mit einem Arzt, einem
Chirurgen. Klar-Name Lisa Rosenberg.« Es gab zwei schulpflichtige Kinder, die
auf die Namen Daniel und Julia hörten.
    Alexander Holtz, Klar-Name Karl Schmidt-Weinhäuser, war der letzte
auf der Liste. Die wenigen Angaben zu seiner Person enthielten für Gromek kaum
Neues. Alexander Holtz war 52 Jahre alt, unverheiratet und seit neun Jahren
Angehöriger der Sektion¬4 . Den Rest las er nicht mehr. Es fiel ihm
schwer zu glauben, dass ausgerechnet Alexander Holtz zu seinen Zielpersonen
gehören sollte. Trotzdem wollte er sich nicht länger als unbedingt nötig in dem
Hotelzimmer aufhalten.
    Die Nachrichten begannen. Gromek wandte den Kopf in Richtung
Fernsehgerät und stellte die Lautstärke höher. Die Top-Meldung des Abends war
der Mordanschlag auf Stephan Freiherr von Hohenfels-Selm in Brüssel. Doch die
Einspielung eines Berichts ergab keine Neuigkeiten, und eine Live-Schaltung zu
dem Korrespondenten vor Ort scheiterte aus technischen Gründen. Die zweite
Meldung betraf ein Zugunglück in der Nähe von Dortmund und die dritte einen
Vorgänger von Dr. Hubertus Steinhammer, den früheren Bundesinnenminister Oswald
Kanthauser.
    Gromek blieb aufmerksam. Er hatte Kanthauser persönlich gekannt,
doch seine Erinnerungen an den ehemaligen Vorgesetzten wurden durch den
Schatten eines einzigen Tages verdunkelt.
    »... Die internationale Menschenrechtsorganisation ›Wider den
Staatsterrorismus‹ hatte mit ihrer Klage vor dem Bundesgerichtshof
Bundesinnenminister a. D. Oswald Kanthauser in Bedrängnis gebracht,
dessen Amtszeit von 1985 bis 1988 währte. Ihm wird vorgeworfen, er habe Akten
seines Ministeriums beseitigen lassen. Diese sollen belegen, dass die
Bundesregierung nicht nur Kenntnis von einem nicht aufgeklärten Busunglück in
der Nähe der polnischen Stadt Skwierzyna hatte, sondern mit einer
Geheimdienstoperation direkt beteiligt war. Der betreffende Reisebus war im
Sommer 1988 aus ungeklärten Gründen von der Straße abgekommen. Er hatte sich
mehrmals überschlagen und brannte völlig aus. Von den 45 Insassen, alle
Pensionäre aus Österreich und der Schweiz, hatten nur zwei den Unfall überlebt
...«
    Nach der Einblendung von Archivmaterial, das einen umgestürzten
und ausgebrannten Reisebus zeigte, wurde ein von Kamerateams umringter Oswald
Kanthauser gezeigt, der sein konturloses Gesicht in die Linsen der
Aufnahmegeräte reckte und sich empört über »die maßlose Hetzkampagne«
beschwerte, welche die Journalisten in »ihrer blinden Jagd nach Sensationen«
gegen ihn betrieben. Seine Haltung drückte nur allzu deutlich aus, dass er sich
voll und ganz im Recht fühlte.
    Gromeks Kiefermuskeln spannten sich. Er hatte Kanthausers eloquenten
Bass noch im Ohr: »Wir hatten eine Fehlinformation erhalten.« Er griff nach der
Fernbedienung und schaltete wahllos auf ein anderes Programm um. »Ein
unschönes Missgeschick. Das wird selbstverständlich Konsequenzen haben. Ich
werde persönlich dafür sorgen.«
    »Waren das jetzt deine Konsequenzen, Kanthauser?« fragte Gromek
bitter in den Raum hinein. Noch immer konnte er die Flammen lodern hören, den
Geruch nach einer Mischung aus verkohltem Fleisch, Textilien und Blech in
seiner Erinnerung abrufen, der ihn damals noch monatelang verfolgt hatte.
    Auf dem Privatsender, auf den er gewechselt hatte, lief die Wiederholung
einer Talkshow vom vorigen Nachmittag. »Guten Tag, liebe Zuschauerinnen und
Zuschauer!« Sechs Frauen und Männer verschiedener Altersklassen saßen um die
Moderatorin herum. »Unser Thema des Tages: Ich habe heimlich Aktfotos von mir
machen lassen. Bin ich jetzt pervers?! Frau Schulze - wie war das denn bei
Ihnen?« »Ja, also ...«
    »Brot und Spiele«, murmelte Gromek in einem Ton, der irgendwo
zwischen Verachtung und Bedauern lag. Er schaltete erst den Fernseher aus, dann
den tragbaren Computer, zog den USB-Stick ab und das Kabel aus der Steckdose
und klappte den Laptop zusammen. Die Verschlüsse schnappten geräuschvoll ein,
und das Schicksal seiner vier ›Rendezvous‹-Aufträge schien besiegelt.
    Als er mit dem Laptop unter dem Arm das Hotelzimmer verließ,
rutschte ihm der Knauf aus der Hand, und die Tür fiel satt ins Schloss.
    Die Nachbartür, hinter der sich das Liebespaar befand, öffnete
sich zaghaft einen Spalt weit.
    Gromek drehte sich um und erblickte
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