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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn
Autoren: Karl Bleibtreu
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deren Bruder bei Königsgrätz als Divisionär gefallen war, über diesen Punkt zu rechten.
    Lady Dorrington mußte sich verabschieden, um eine nothwendige Visite zu machen. Die beiden Männer plauderten bei einer Flasche Portwein und griechischen Cigaretten im Bibliothekzimmer weiter. Allerlei schnurrige und ernste Erinnerungen erwachten bei dem alten Herrn, aus der Zeit seines Aufenthalts in Wien, wo er als flotter Lebemann geglänzt hatte. Er erkundigte sich angelegentlich, ob die österreichischen Damen der großen Welt noch immer so naiv-liederlich seien. So gab er eine Anekdote zum besten, wie in einem gewissen Badeort die Damen am Fenster durch Operngucker zugesehen hätten, wie ihre Herren im See badeten. Dabei hatte die schöne Gräfin Mizi.., die in dem Rufe stand, systematisch ihre Liebhaber zu wechseln, naiv ausgerufen: »O, dies Jahr nehme ich Dorrington!« Man mochte wohl glauben, daß er früher ein sehr schöner Mann gewesen sei – noch die Ruine wies darauf hin. Der gute alte Herr kicherte behaglich mit wohlwollender Theilname für die menschliche Schwäche. »Die Arme! Sie ist nun auch schon lange todt!«
    Allein, er wußte auch ernstere Details aus seiner diplomatischen Carrière zu erzählen. Hatte er sogar Metternich noch gut gekannt, der ihm echten Johannisberger oftmals vorgesetzt hatte. Auf den ließ er nichts kommen. Beeinflussen die persönlichen Verbindungen doch stets das objektive Urteil auch bei urteilsfähigen Geistern.
    Und Lord Dorrington war ein Urteilsfähiger. Seine diplomatischen Spielereien lagen lange hinter ihm. Jetzt hatte er sich der Wissenschaft gewidmet und der Litteratur. In seinem Bibliothekzimmer hingen eine Reihe interessanter Zeichnungen und Portraits von berühmten Dichtern aus jener großen Epoche der englischen Litteratur zu Anfang des Jahrhunderts, die er in früher Jugend noch miterleben durfte und aus welcher er viele Autographen bewahrte. Als Xaver mit augenscheinlichem Eifer diese Sammlungen besichtigte, rief Dorrington, nachdem er ihn eine Zeitlang aufmerksam betrachtet hatte, plötzlich: »
Et tu, Brute?
Du bist ja auch ein Poet?«
    Der k.k. Rittmeister ward dunkelroth. »Ich – ein Poet?« stammelte er. »Wie – kommen Sie darauf?«
    »O! Ich lasse mich nicht beirren. Beichte mal: Bist Du nicht schon öfters mit dem Pegasus gestürzt?«
    »Ich kann nicht leugnen..« machte Jener zögernd.
    »Siehst Du wohl!«
    »Aber wie.. errathen Sie das?«
    »O ganz einfach. Ich bin nämlich ein ganz altmodischer alter Kerl und huldige immer noch fanatisch der Gall'schen Schädeltheorie, die jetzt ein überwundener Standpunkt sein soll. Ja ja, ich bin bekannt und gefürchtet ob meiner Manie, die Schädel zu untersuchen. Und doch hab' ich mich nie getäuscht. Habe Disraelis Schädel untersucht und Gladstones, und habe immer gesagt, daß trotz seiner Charakterfehler Disraeli noch die noblere Natur von den Beiden sei. Da haben wir ja jetzt seit lange die Bescheerung mit diesem Gladstone! Dieser eitle
quack,
dieser Charlatan und Doktrinär!« Er schimpfte noch eine Zeitlang auf den »Verräter«, dessen Haltung in der Irischen Frage ihn als Briten der alten Schule entrüstete.
    »Und.. und,« warf Xaver hin, der sehr aufmerksam zuhörte. »Bei mir wollen Sie erkannt haben ...«
    »Und ob! Hier der Winkel an den Schläfen über den Augen, der Schnitt der Augenbrauen.. laß mich mal Deinen Kopf untersuchen!«
    Halb lachend, halb interessirt, gab Jener seine Zustimmung. Dorrington betastete seinen Hinterkopf genau, brummte eine Menge psychologisch – physiologisch – physiognomischer Lehrsätze durcheinander und constatirte aus einer Reihe phrenologischer Dokumente: »Zweifellos ein stark receptives, doch auch productives ästhetisches Organ vorhanden.« Er verbreitete sich noch lange über diesen Punkt. Xaver war auffallend still geworden.
     
    »Ein Dichter!« sang es in ihm, als er nach Hause schritt. »Ein Dichter!« schien das Echo seiner Tritte zu wiederholen, als er mit unbewußt leichterem und stärkerem Schritt wie ein Triumphator dahinwandelte. Hatte er doch stets geahnt, daß etwas Besonderes in ihm schlummere. Stets war er einsam seinen Pfad fürbaß gewandelt. Auf der Kriegsschule hänselte man ihn als sauertöpfisch; später beim Regiment galt er als ein Gentleman und als tüchtiger Offizier, streng im Dienst, aber im Offizier-Casino zählte er durchaus nicht zu den beliebten Mitgliedern. Die Damen fanden ihn interessant, aber etwas steif. Ein paar
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