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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn
Autoren: Karl Bleibtreu
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mußte. Durch den Marmorbogen des Hyde-Park, wo als Schildwach der eiserne Herzog Wellington auf eisernem Roß herniederstarrt, flutheten morgendliche Spaziergänger, Maiglöckchen im Knopfloch, den gelben Olivenstock als Gruß-Stange benutzend. Knallrothe Handschuhe mit breiten schwarzen Streifen schienen Mode – es fiel dem Oesterreicher schwer aufs Herz, daß er dieselben an seinem sonst tadellosen Anzug vermißte.
    Welch endlose Schnur von Roß und Reisigen! Blaue Bänder, gleich Preußens loyalen Kornblumen, verkünden, daß man zu St. Sport von Epsom, dem Nationalheiligen, wallfahrte. Heut war Derbytag. Ganz England scheint solches Rennen nach einem geschäftsmäßig, Uhr in der Hand, erledigten Pensum Vergnügen.
    Krastinik bummelte noch eine Zeitlang hin und her, über Knightsbridge nach Brompton hinein. Die vielen Fisch- und Fleischbuden legten soeben ihre Waaren aus. Dieselben verbreiteten jedoch einen solchen Blut-und Salzgeruch und die Verkäufergruppen brüllten mit ihren Stentorkehren den eleganten Spaziergänger so mißtönig an, indem sie mit ihren nervigen nackten Armen und blutigen Schürzen wenig appetitliche lebende Bilder stellten, – daß Xaver sich hülfeflehend nach einem Cab umsah, das langsam vorbeitrottete. Kaum hatte das immer wache Auge des Rosselenkers ihn erspäht, als auch der Peitschenstiel sich senkrecht in die Lüfte erhob zum Zeichen der Verständigung, worauf mit einem kräftigen, »
All right, Sir!
« der hübsche rothgrünbemalte zweiräderige Hansom heranschoß. »Das geht fixer, wie die faulen Fiaker und Droschken des Kontinents!« dachte der Oesterreicher; laut wies er den Cabman an, ihn nach »Bolton's Terrace« zu fahren. Es dauerte jedoch eine Weile, eh ihn der Mann verstand. Endlich rief er: »
Ah, to Bolton's, I see
«, indem er »Boltons« wie »Baltons« aussprach. Noch blieben dem Fremden die Geheimnisse des Cockney-Slang verschlossen, wonach »
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« wie »
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« und »
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« wie »
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« lautet. – Dies war also Bolton's Terasse. Eine nette freundliche Straße mit kleinen Vorgärtchen, jedes Haus mit einer kurzen Treppe und zwei Säulen an der Thür versehen. Alles so glatt, reinlich, frisch, wie ein Sinnbild des englischen Comfort.
    Als er vor einem der Häuser das Cab entließ und die Treppe hinanstieg, öffnete sich die Hausthür von selbst und ein alter Herr, groß, aber von etwas gebückter Haltung, trat ihm entgegen. Beide umarmten sich.
    »My dear fellow«,
rief Lord Dorrington fröhlich, »das ist gut, daß Du da bist. Ich sah Dich vom Erdgeschoß aus, wo wir essen, der Kühle wegen. Komm nur gleich hinunter, Lady Dorrington wird sich sehr freuen.« Er hatte dies alles Deutsch gesagt, unterbrach sich aber:
»But English is better for you!«
und unterzog sich von nun ab der Mühe, das Kauderwelsch des radebrechenden Fremdlings zu verstehen und zu corrigiren.
    Ein Blick in das edle Auge des altes Mannes genügte. Man erkannte sofort in ihm einen jener seltenen Menschen, denen stete Rücksichtnahme auf Andere, philanthropische Humanität, zur andern Natur geworden.
    Ein Abglanz dieses Wohlwollens hatte sich sogar den un-englischen Zügen seiner Gattin eingeprägt, so völlig sie von dem vornehmen Race-Typus des Lords abstach. Obschon ihr Haar ergraut, schien die stattliche Matrone eine scharfe Beobachtung der Lebensverhältnisse bewahrt zu haben. Ganz Weltdame.
    Sie begrüßte Xaver mit Wärme. Dieser küßte ihr ehrerbietig die Hand. »Darf ich mich nach Ihrem Befinden erkundigen, gnädige Tante?«
    »Danke, lieber Cousin,« erwiderte sie mit stark österreichischem Accent. »Ich lebe ja nun schon so lange in England, daß ich mich völlig acclimatisirte. Also willkommen hier! Ich sah Sie nicht, seit Sie so groß waren.«
    Sie bezeichnete eine Minimal-Höhe mit der Hand. »Was macht Ihr Bruder, der Majoratsherr?«
    »Er sendet Lady Dorrington, geborene Gräfin Krastinik, seine verbindlichste Empfehlung. Uebrigens sehe ich ihn sehr selten. Wir haben verschiedene Neigungen. Er betreibt auf seinen Gütern in Ungarn den edeln Sport der Fuchsjagd. Ich schwitze in meiner Garnison als Kavallerieoffizier. Sie wissen, ich bin kürzlich übergetreten – war früher Ingenieurhauptmann, weil ich mich mit Leib und Seele für Kriegswissenschaft interessiere. Aber es ging halt nicht mehr; meine Familie meinte, ein Krastinik gehöre nur in die Kavallerie. Das allein sei ritterlich, ich dürfe doch nicht als bewaffneter Bücherwurm hinvegetieren. Auch reizte
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