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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn
Autoren: Karl Bleibtreu
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die untersetzte breitschulterige Gestalt von kaum Mittelgröße, die sonnenverbrannte Hautfarbe, die tiefliegenden scharfen Augen unter hervorstehendem Knochenbau der Stirn, der röthliche Vollbart und das braunrote kurzgeschorene Haar, endlich die markirten Züge verriethen einen sarmatischen Typus. Auch soldatische Haltung konnte man unmöglich verkennen.
    Die Sonne blinzelte grell auf die Bohlen der Holzbrücke, welche zur Landungsstelle, wo der Dampfer via Calais-Dover seine Opfer erwartet, hinlief. Ohnehin verdrießlich, fühlte sich der Graf peinlich berührt, als ihm der dort lauernde Beamte, ein stämmiger Kerl mit riesigem Knebelbart, die gewöhnliche Frage zuschnarrte: »
Êtes vous Français?
« Da der Ueberraschte nicht sogleich antwortete, fuhr der Inquisitor eindringlich in einem Athem fort: »
Are you English? Votre nom, monsieur? Your name, sir?
«
    Geärgert über dies zudringliche Verhör, brummte der Graf zwischen den Zähnen: »
My name is the devil
«, was dem höflichen Franzmann, der natürlich nach zwanzigjährigem Umgang mit Engländern die insularische Barbarensprache kaum radebrechte, vollkommen genügend schien. Der Graf jedoch, der noch einen fragenden Blick wahrzunehmen glaubte, schwang sich sofort zur Höhe der Situation empor, indem er trocken beifügte: »
Et je suis Allemand.
«
    Dies böse Wörtchen erwies sich als Zauberformel. Augenblicklich ließ man ihn passiren, indem man wie vor einem schädlichen Reptil auswich. »
Allemand?! Ah! Merci, monsieur!
« Der Beamte versetzte ihm einen unnachahmlichen Bückling höflicher Grobheit, wie nur Franzosen diese widersprechende Mischung zu bereiten wissen, indem er wüthend seinen Schnauzbart und hernach noch unbarmherziger seinen Henri-Quatre am Kinn zwirbelte, Krastinik lächelte höhnisch.
    Die Ueberfahrt erfolgte mit frischer Brise, die See ging bewegt, ein Mousselin-Flor von Schaum kräuselte sich über ihren wogenden Busen, die Stöße kamen ruckweise. Eine Ammensage behauptet, daß selbst englische Admiräle seekrank würden, sobald sie den Kanal passirten. So wunderte sich denn Graf Xaver, der weder die weithinschwingenden vollausgetragenen Wogen des Oceans noch das wilde Rütteln der skandinavischen Nordsee kannte, nicht wenig, daß er als Landratte gelassen betrachten durfte, wie die schwarzhäutigen und gallig-gallischen Phystognomieen allmählich nacheinander ins Grünliche schillerten.
    Ein Chor barmherziger Schwestern saß allda, jede mit einem Napf in fromm gefalteten Händen, als beteten sie einen Rosenkranz. Alles spuckte und spokte durcheinander. Man verschwand und ward nicht mehr gesehn. Baß erstaunte der Osterreicher, als sogar die blondfleischigen oder blondbleichen Gesichter Albions sich zusehends verzerrten, um dem Neptun Weihrauchopfer zu bringen, während nur einige deutsche Wollhändler, wie massive Blöcke in der Brandung, unerschütterlich Stand hielten. Einer derselben belehrte Krastinik scharfsinnig darüber, daß insulare Lage und jeweilige Seefahrerei nichts gegen die Seekrankheit fruchte, für welche die englischen Mägen durch heiß verschlungenen Pudding und anhaltende Brandybegießung veranlagt seien. Erst als die gleichsam übereinander stehenden Segel der zahllosen, den Kanal passirenden Schiffe am Horizont unterduckten und die runden Thürme von Dover emportauchten, fühlte Xaver die erste Beklemmung. Denn angesichts des Shakespeare-Cliffs und der andern Kreideriffe, die hier als Panzerbrünne die meerbeherrschende Brunhild Albion umgürten, entwickelten sich vor seinen Augen verschiedene innere Krämpfe – die Wellen brachen sich plötzlich mit besonderer Heftigkeit. Er erprobte jene schlimmste Spielart der Seekrankheit, die kurz vorm Landen anhebt und drum auf dem Lande noch tagelang fortdauert.
    Wie schwach wurde ihm aber erst zu Muth, als ihm an der Landungstreppe die wie Befehle klingenden Fragen der wachthabenden Matrosen entgegensprudelten: »Charing Croß, Victoria Station, Ludgate Hille, Cannon Street?«
    Nur mit Mühe begriff er den Sinn dieser Namen der vier Haupteisenbahnstationen der Metropolis. Die verwirrende Schnelligkeit der Aussprache glich sehr wenig der gemütlichen Conversation seines englischen Sprachlehrers in Wien. Mit rasender Hast in einen Waggon des Charingeroß-Zuges gedrängt, fühlte er sich alsbald, während die drei andern, am Strande dicht aneinander gepreßten, Züge zugleich losstarteten, wie mit Riesenhaken über Thal und Höhen hingerissen. War es doch der
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