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Grimwood, Ken - Replay

Grimwood, Ken - Replay

Titel: Grimwood, Ken - Replay
Autoren: Das zweite Spiel
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windzerzaustes Haar, wünschte, die Wahrheit einen Augenblick lang hinauszögern zu können; doch es war nicht zu leugnen. »Oktober«, sagte er sanft. »Der dreizehnte.«
    »Dann sind’s… dann sind’s bloß noch fünf Tage!« »Ja.«
    »Es ist nicht fair«, schluchzte sie. »Ich hatte mich letztes Mal vorbereitet, ich hatte mich fast abgefunden…« Sie brach ab, sah ihn verwirrt an. »Was tun wir hier zusammen?«
    »Ich… ich mußte dich sehen.«
    »Du hast mich geküßt«, sagte sie anklagend. »Du hast sie geküßt, die Person, die ich früher einmal war!«
    »Pamela, ich dachte…«
    »Es ist mir egal, was du dachtest«, sagte sie heftig und zuckte vor ihm zurück. »Du wußtest, daß das eine andere war als ich, wie konntest du etwas so… so Perverses tun?«
    »Aber du warst es doch«, beharrte er. »Nicht mit all den Erinnerungen, nein, aber du warst es, wir sind immer noch…«
    »Ich kann nicht glauben, was du da sagst! Wie lange geht das schon so, wann hast du damit angefangen?«
    »Es sind jetzt beinahe zwei Jahre.«
    »Zwei Jahre! Du hast… mich benutzt, als wäre ich eine Art lebloser Gegenstand, als…«
    »So war es nicht, überhaupt nicht! Wir liebten einander, du fingst wieder zu malen an, gingst wieder zur Schule…«
    »Es ist mir egal, was ich gemacht habe! Du hast mich von meiner Familie weggelockt, mich überlistet… und du wußtest genau, was du tatest, welche Saiten du anschlagen mußtest, um mich zu beeinflussen, um mich… fügsam zu machen!«
    »Pamela, bitte.« Er griff nach ihrem Arm, versuchte sie zu beruhigen, sich ihr verständlich zu machen. »Du verdrehst alles, du bist…«
    »Faß mich nicht an!« schrie sie und wich zurück, drehte sich um und lief von der Brücke, auf der sie sich vor wenigen Augenblicken noch innig umarmt hatten. »Laß mich einfach in Ruhe und laß mich sterben! Laß uns beide sterben, damit wir’s endlich hinter uns haben!«
    Jeff versuchte sie aufzuhalten, aber sie rannte davon, war verschwunden, bevor er sich aus seiner Benommenheit lösen konnte. Die letzte Hoffnung seines letzten Lebens war verschwunden, verloren auf dem Weg, der zur Siebenundsiebzigsten Straße führte, unterwegs in die anonyme, allesverschlingende Stadt… in den Tod, in den unabänderlichen und sicheren Tod.

21
    Jeff Winston starb allein; doch sein Sterben war noch nicht vorbei. Er erwachte in seinem Büro bei WFYI, wo das erste seiner vielen Leben so abrupt geendet hatte: an den Wänden aufgehängte Reporter-Einsatzpläne, ein gerahmtes Foto von Linda auf seinem Schreibtisch, der gläserne Briefbeschwerer, der zerbrochen war, als er sich vor so langer Zeit an die Brust gegriffen und den Telefonhörer fallengelassen hatte. Er sah auf die Digitaluhr in seinem Bücherregal:

    12:57 18Okt 88

    Noch neun Minuten zu leben. Keine Zeit mehr, an etwas anderes zu denken als an den bedrohlich näherrückenden Schmerz und das Nichts.
    Seine Hände begannen zu zittern, aus seinen Augen quollen Tränen.
    »Hey, Jeff, wegen dieser neuen Kampagne…« Der Werbeleiter Ron Sweeney stand in der offenen Bürotür, starrte ihn an. »Herrgott, Jeff, du bist ja kreidebleich im Gesicht! Was ist los?«
    Jeff sah wieder auf die Uhr:

    1:02 18Okt88

    »Mach, daß du rauskommst, Ron!«
    »Kann ich dir ein Alka-Seltzer oder so was holen? Soll ich einen Arzt rufen?«
    »Hau schon ab, verdammt noch mal!«
    »Hey, tut mir leid, ich wollte bloß…« Sweeney zuckte die Achseln, schloß die Tür hinter sich.
    Das Zucken in Jeffs Händen griff auf seine Schultern über, dann auf seinen Rücken. Er schloß die Augen, biß sich in die Oberlippe und schmeckte Blut.
    Das Telefon klingelte. Er nahm mit seiner bebenden Hand den Hörer ab, schloß den weiten Kreis, der vor so vielen Leben begonnen hatte.
    »Jeff«, sagte Linda, »wir brauchen…«
    Der unsichtbare Hammer krachte auf seine Brust, tötete ihn ein weiteres Mal.
    Er erwachte wieder, blickte in Panik zu den glühenden roten Ziffern hinüber:

    1:05 18Okt88

    Er schleuderte den Briefbeschwerer auf die Uhr, zerschmetterte ihr rechteckiges Plastikgesicht. Das Telefon klingelte, und klingelte fort. Jeff übertönte das Geräusch mit einem Schrei, einem wortlosen tierhaften Brüllen, und dann starb er, und erwachte wieder mit dem Telefon bereits in der Hand, hörte Lindas Worte und starb wieder und wieder und wieder: Erwachen und Sterben, Bewußtheit und Leere wechselten beinahe schneller miteinander ab, als er es wahrnehmen konnte, immer um den Moment jener
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