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Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Titel: Grimpow Das Geheimnis der Weisen
Autoren: Rafael Abalos
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erhellten einige Öllampen in den Ecken des Mittelschiffs schwach die dicken Säulen. In abenteuerlichen Windungen reichten sie bis zum Deckengewölbe hinauf, das um diese Zeit schwarz war wie der Nachthimmel.
    Kaum hatte Durlib das Gotteshaus betreten, da steuerte er auch schon auf das Weihwasserbecken hinter der Tür zu, tauchte die Hand hinein und bekreuzigte sich dreimal hintereinander. Damit hoffte er, den schlechten Einfluss zu bannen, den der Geist des toten Edelmannes möglicherweise auf ihrer beider Leben ausübte. Er zog sogar die Silbermünzen aus einer geheimen Hosentasche und ließ sie verstohlen in das Becken gleiten, um sie von jedem Fluch oder Zauber zu läutern.
    Während Bruder Brasco sich hinkniete und das Gesicht mit beiden Händen bedeckte, setzte sich Durlib in eine der mittleren Kirchenbänke neben Grimpow und flüsterte ihm ins Ohr: »Du solltest mit dem Stein dasselbe tun.«
    Der Junge achtete jedoch nicht auf Durlibs Worte, sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf die Mönche, die zur Komplet, welche die Kirchenglocken kurz zuvor angekündigt hatten, in den Chorraum einzogen. Alle hatten die Kapuzen über die gesenkten Köpfe gestreift, traten mit aneinandergelegten Händen in einer Reihe ein und stellten sich vor ihre Plätze. Grimpow zählte dreißig Männer unterschiedlichen Alters und Aussehens, obwohl alle die gleiche braune Ordenstracht trugen. Dann stimmte einer von ihnen, der Stimme nach zu schließen fast noch ein Junge, einen so sanften, melodiösen Lobgesang an, dass Grimpow augenblicklich in tiefen Schlaf fiel.
    Als das Stundengebet zu Ende war, spürte er Durlibs Ellbogen in den Rippen. Das sollte wohl heißen, dass der Abt aus dem Chor auf sie zukam. Noch ganz benommen, schlug Grimpow die Augen auf. Die hohe, schlanke Gestalt des Abtes, die sich im Schein der im Chorraum brennenden Altarkerzen abzeichnete, kam ihm gespenstischer und furchterregender vor als der Leichnam des Unbekannten.
    »Es muss ein Wunder geschehen sein, das diese beiden Langfinger auf einmal in unser Stundengebet treibt«, sagte der Abt leise und kniff seine winzigen Augen auch noch zusammen, sobald er in der letzten Kirchenbank angelangt war.
    Voller Ehrerbietung standen die beiden auf, und Bruder Brasco antwortete an ihrer Stelle: »Sie haben beschlossen, die Berghütte zu verlassen und an irgendeinem fernen Ort ein sündenfreieres Leben zu führen. Sie wollen gleich morgen früh mit Eurem Segen aufbrechen.«
    »Ist das wahr?«, wollte der Abt wissen und musterte Durlib aus zusammengekniffenen Augen.
    »Wir wollen nach Straßburg. Vor Einbruch des Winters habe ich gehört, dass noch immer an dem neuen Münster gebaut wird. Vielleicht finden wir dort Arbeit als Steinmetze.«
    Grimpow musterte Durlib voller Bewunderung für seine Fähigkeit, Lügengeschichten zu erfinden.
    »Steinmetze nehmen ihren Beruf sehr ernst und öffnen die Tore ihrer Zunft niemandem, der nicht vertrauenswürdig ist«, erklärte der Abt.
    »Ich dachte, Ihr könntet uns vielleicht dem Bischof empfehlen. Mit Eurer Hilfe finden wir mühelos eine ehrbare Arbeit, damit Grimpow ein Leben fern der Sünde führen kann, da bin ich mir sicher«, schlug Durlib dem Abt schmeichelnd vor.
    »Die größte Sünde dieses Jungen besteht darin, dass er schon so lange mit dir zusammen ist. Aber Gott ist barmherzig und wird einsehen, dass das Böse nicht von ihm, sondern von demjenigen ausgegangen ist, der wie ein Vater zu ihm war«, predigte der Abt und ließ dabei seine Knopfäuglein vom einen zum anderen wandern.
    »Durlib ist mein bester Freund und ich werde mich nie von ihm trennen«, verteidigte Grimpow seinen Begleiter mit Nachdruck. Zugleich musste er sich auf die Zunge beißen, denn am liebsten hätte er dem Abt unter die Nase gerieben, was er von ihm und seinen Sünden hielt.
    Da spürte Grimpow, dass ihn jemand am Ärmel seines Kittels zog. Bruder Brasco wollte ihn auf diese Weise für seinen frechen Ton dem Abt gegenüber rügen.
    »Wir gehen jetzt wohl besser in meine Gemächer. Dort könnt ihr mir eure Absichten eingehender schildern, denn mir scheint, ihr wolltet unter sechs Augen mit mir sprechen«, erwiderte der Abt, ohne auf die Provokation des Jungen einzugehen.
    Schweigend verließen die Mönche in Reih und Glied den Chor und steuerten wie eine Kolonie Ameisen auf eine nahe Treppe zu. Diese führte direkt in den Schlafsaal, einen lang gestreckten, kargen, hohen Raum mit Holzdecke, auf dessen Boden Strohsäcke nebeneinander aufgereiht
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