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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
Autoren: Unbekannter Autor
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zurück, holte ein silbernes Zigarettenetui hervor, das im Flammenschein aufblitzte, klopfte eine Zigarette heraus und zündete sie an. Er wartete ein paar Minuten, während sie ins Feuer starrte, dann beugte er sich vor, als wollte er sie zwingen, ihm den Blick wieder zuzuwenden. Schließlich tat sie es, wenn auch sehr langsam.
    Er sagte etwas und stand auf, und noch immer wirkte er irgendwie unbekümmert und angriffslustig zugleich.
    Sie hielt den im Feuerschein golden schimmernden Kopf leicht gesenkt, so als hätte er sie in einem entscheidenden Spiel geschlagen. Ihre Arme ruhten auf der Sessellehne, die Hände hingen herunter, ein Daumen spielte mit dem Goldreif und dem Saphirring. Es sah aus, als überlegte sie, ob sie die Ringe abziehen und ihm in die Hand drücken sollte.
    Langsam zog sie die scheinbar bleischwere Handtasche auf den Schoß. Sie machte die Lederklappe auf und holte etwas heraus, das wie ein Umschlag oder Brief aussah. Sie hatte ihn schon beim Essen hervorgeholt und immer wieder weggesteckt; als handele es sich dabei um ein magisches Ritual, das es zu vollziehen galt. Mit diesem Stück Papier in der Hand - Brief oder was auch immer - stand sie auf und sagte etwas, das Jury nicht mitbekam.
    Und noch immer hielt sie die Tasche mit dem baumelnden Verschluß an den Leib gepreßt, als wäre das Ding jetzt leer, nutzlos, eines wertvollen Inhalts beraubt.
    Er streckte die Hand aus, entriß ihr den Brief und warf ihn ins Feuer.
    Sie wechselten einen kurzen Blick, ohne auch nur im mindesten zu merken, daß sie nicht allein im Zimmer waren, so sehr nahm sie das in Anspruch, was sie zusammengeführt hatte. Der Mann drehte sich um und wollte zur Tür gehen.
    Sie stand da, das Profil vom Feuer beschienen, während ihr Körper im Schatten war. Sie stand, als hätte ein zorniger Gott sie zur Salzsäule verwandelt.
    »Roger.«
    Das erste verständliche Wort, das Jury hörte. Der Mann drehte sich etwas zögernd um, und sie griff in die Tasche, zog eine Pistole heraus und schoß ihn in die Brust. Er starrte sie verständnislos an, als habe sie nicht getroffen. Doch in den paar Sekunden, die Jury brauchte, um auf die Beine zu kommen und den Tisch neben sich umzustoßen, sackte der Mann in sich zusammen und fiel zu Boden.
    Sie senkte die Pistole und schoß noch einmal.
    Der Name Roger Healey sagte Jury nichts, als er ihn später am Abend zum erstenmal hörte. Der Beamte der Polizei von West Yorkshire, der Healeys Frau im Gasthaus »Zum großen Schweigen« festgenommen hatte, erzählte ihm am nächsten Tag, daß der Mann etwas mit Kunst oder Musik zu tun hätte, was genau, wußte er nicht, nur, daß er prominent war. Der aus Keighley gerufene Detective Sergeant verbürgte sich jedenfalls dafür, daß die Familie in der Gegend sehr angesehen war, und es war ihm anzumerken, welch inneren Zwiespalt die Festnahme eines ihrer Mitglieder bei ihm auslöste.
    Inneren Zwiespalt oder dergleichen kannte Superintendent Sanderson nicht; ihn scherte es weder, daß Jury der einzige Zeuge für den Mord an Roger Healey war noch daß in seiner Person die Londoner Kripo in seinem Revier wilderte. Sanderson war ein hochgewachsener Polizist, dünn wie ein Laternenpfahl, dessen gut einstudiertes, undurchsichtiges Gebaren jeden aufs Glatteis hätte führen können. Falls Jury, was unwahrscheinlich war, je als Zeuge aufgerufen würde, hätte seine Aussage weitaus mehr Gewicht als die irgendeines kurzsichtigen Einheimischen. Was die derzeitige Untersuchung betraf, konnte sich Jury, was Sanderson anging, rasch aus dem Revier der Yorkshire-Polizei verziehen.
    Sanderson hatte es aber auch leicht. Er mußte nicht einmal Verdächtige auftreiben, keine Stammgäste aus dem öffentlichen Ausschank des »Großen Schweigens« befragen, die doch nur widersprüchliche Berichte geliefert hätten, wer was wem wann getan hatte; und die fünf Leutchen, die aus dem Ausschank in die Lounge gestürzt waren, hatten sehr erleichtert gewirkt, als sie hörten, daß sie aus dem Schneider waren. Denen hatte es vor Schreck die Sprache verschlagen, bis die Polizei eintraf. Jury hatte sie angerufen.
    Und es war auch Jury gewesen, dem die Frau, schweigend, die 22er Automatik gegeben hatte. Widerstandslos. Sie sagte kein einziges Wort, sondern setzte sich wieder in den Sessel, beantwortete keine seiner Fragen und sah auch nicht mehr zu ihm auf.
    Die gerichtliche Untersuchung der Todesursache wurde für den folgenden Tag angesetzt und diente lediglich der Feststellung
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