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Grim - Das Siegel des Feuers

Grim - Das Siegel des Feuers

Titel: Grim - Das Siegel des Feuers
Autoren: Gesa Schwartz
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Ja, die Welt würde sich ändern, das war unausweichlich — es hatte schon längst begonnen. Noch vor wenigen Tagen hätten die Gargoyles sich eher eine Hand abgeschlagen, als auch nur mit einem Hybriden auf einer Augenhöhe zu reden — und nun wollten sie einen als ihren König einsetzen. Grim fuhr sich über die Augen. Niemals hätte er sich das träumen lassen — er, der künftige König Ghrogonias!
    »Du machst ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter«, sagte Remis mit vollem Mund. Er hockte vor Grim auf dem Tisch, angelehnt an eine dicke Weinflasche, und stopfte sich eine Blaubeere nach der anderen in den Mund, ohne sie zu kauen. Es hätte Grim nicht gewundert, wenn der Kobold kleine Beulen im Bauch bekommen hätte von den Früchten.
    »Ich hasse es, wenn du Redewendungen der Menschen benutzt«, grollte Grim, aber Remis lachte nur.
    »Ich weiß«, sagte er grinsend. »Deswegen mache ich es ja. Und außerdem musst du gerade reden. Du weißt doch ...«
    »... wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen?« Grim lächelte. »Ja, ja. Ich weiß.«
    Neben ihm wurde ein Stuhl zurückgezogen, und Mourier ließ sich an der Tafel nieder. Seine Wangen waren gerötet, denn er hatte gegen seine Gewohnheit Wein getrunken, und auf seinen Lippen lag ein seliger Ausdruck. Lächelnd lehnte er sich zu Grim herüber und hauchte ihm seinen Atem ins Gesicht. »Ein schöner Abend, hm?«, sagte er gedehnt. »Wer hätte gedacht, dass alles so ausgehen würde. Und diese Pyramide, die Bocus mit seiner Truppe da auf die Beine gestellt hat — famos, ganz, ganz famos, muss ich sagen!«
    Grim hörte ihm zu, aber er achtete kaum auf die Worte des Löwen. Eine Erkenntnis stieg in ihm auf wie eine riesige Seifenblase kurz vor dem Platzen. Er wollte kein König sein. Er hatte das nie gewollt. Er war ein Schattenflügler, verflucht noch eins, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Was sollte er auf einem Thron irgendwo ganz oben! Er wollte auf regennassen Dächern sitzen und stundenlang auf irgendwelche Sterblichen warten, wie er es immer schon getan hatte — und darauf hoffen, dass eines Tages die Zeit käme, da sie gelernt hatten, ihn zu sehen. Er zog die Brauen zusammen. Aber Ghrogonia brauchte einen König. Jemanden, der die frisch geborene Hoffnung nicht erstickte, jemanden mit Leidenschaft und Tatkraft, einen, der sich nicht fürchtete, auch mal in den Schlamm hinabzusteigen, wenn es seinem Volk diente. Ein verstohlenes Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, als er den Kopf wandte und Mourier ansah. Der Löwe hielt ein Weinglas zwischen den Krallen und redete vor sich hin.
    »... wie damals«, sagte er gerade. »Ist das nicht ganz wunderbar? Der Senat wird seine Pforten öffnen und nicht mehr nur Gargoyles, sondern auch andere Wesen in seine Reihen aufnehmen, wie es vor Hunderten von Jahren schon einmal war. Und ihm wird der König vorstehen, du wirst ...«
    Da merkte er, dass Grim ihn ansah. Verwirrt brach er ab. »Ist was?«
    Grim musste lächeln. »Ich werde gar nichts«, sagte er. »Ich bin kein König, Mourier. Das bin ich noch nie gewesen. Aber ich kenne jemanden, für den dieses Amt wie geschaffen ist.«
    Für einen Moment starrte ihn der Löwe mit überwältigendem Unverständnis an. Dann begriff er und bekam kreisrunde Augen. Er schüttete sich den restlichen Wein in den Rachen und stellte das Glas so heftig ab, dass der Stiel zerbrach. »Du meinst ...«, sagte er und zwinkerte, als wäre ihm etwas ins Auge gekommen. »Du denkst, dass ... dass ... ich ...« Das letzte Wort war kaum mehr als ein Flüstern.
    Grim nickte langsam. »Diese Stadt braucht einen König, der sein Amt liebt. Das Volk wird dir folgen — es kennt dich als Vorsitzenden der OGP und weiß von deinen Taten in dem Kampf, den wir zusammen durchgestanden haben. Ghrogonia braucht einen Helden — einen Drachentöter.«
    Da flammte es in Mouriers Augen auf, als hätte er eine Leuchtboje verschluckt. Er lächelte verlegen. »Vermutlich wäre es eine gute Idee, wenn der neue Vorsitzende der OGP dem neuen König Ghrogonias mit Rat und Tat zur Seite stünde«, sagte er leise. Jede Trunkenheit war aus seiner Stimme gewichen.
    Grim wandte den Blick, ein Lächeln glitt über sein Gesicht. »Das ließe sich einrichten.«
    Der Löwe erwiderte sein Lächeln, und für einen Moment konnte Grim sich an keine einzige Situation erinnern, in der er über Mourier gelacht oder ihn zum Idioten erklärt hatte. Vor ihm saß der Löwe, der den Lindwurm zur Strecke gebracht hatte.
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