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Grenzen setzen – Grenzen achten

Titel: Grenzen setzen – Grenzen achten
Autoren: Anselm Grün/Ramona Robben
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ist. Diese Abreise ist an sich schon ein großes Abenteuer, aber keines, über das man ausführlich reden möchte. Was Sie sich denken als einige Tage geistigen Austausches, könnte ich mit niemandem ertragen, nicht einmal mit meinen Allernächsten. Der Rest ist Schweigen! Diese Einsicht wird mit jedem Tage deutlicher, das Mitteilungsbedürfnis schwindet.“ Jung stand in seinem Alter nicht unter Druck, der ganzen Welt noch seine Weisheitkundzutun. Er hatte vielmehr das Gefühl, sein Werk sei getan. Jetzt bleibt das innere Werk. Und das muss er alleine leisten. Die Worte Jungs erinnern mich an einen alten Mitbruder, der im Sterben lag. Er schickte seine Verwandten, die ihn am Sterbetag besuchten, sehr schnell wieder nach Hause. Er wollte seine Ruhe haben. Er hatte das Gefühl, den letzten Schritt im Schweigen tun zu müssen.

    Wer das Gespür für die Grenze verloren hat, die Gott ihm im Alter gesetzt hat, den erfüllt im Alter oft noch ein übertriebenes Sendungsbewusstsein. Er meint, die Welt brauche ausgerechnet sein Wort. Er müsse die Welt noch verändern und mit seiner Weisheit erfüllen. Zeichen von Altersweisheit ist jedoch, sich selbst und seine scheinbare Wichtigkeit loszulassen, zu akzeptieren, dass das Schweigen jetzt mehr bewirkt als die Wiederholung der schon so oft gesagten Sätze. Aus Ehrfurcht vor der Leistung der großen alten Männer traut sich niemand ein kritisches Wort zu sagen.
Loslassen und sich einlassen
    In der Bibel gibt es beides: Wir hören von alten Menschen, die sich lebenssatt zurückziehen. Wir begegnen aber auch alten Menschen, die gerade im Alter noch eine besondere Sendung haben, wie Simeon und Hanna. Simeon folgt der Eingebung des Heiligen Geistes in den Tempel und erkennt dort im Kind von Josef und Maria das Licht, das die Heiden erleuchtet. Als er das Kind in seine Arme nimmt, betet er: „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden.“ (Lk 2,29) Er sieht sein Werk vollendet. Doch diesen prophetischen Satz musste er noch sagen, um auf das Kommende hinzuweisen, auf das Heil, das Gott der Welt in diesem Kind bereitet hat.Hanna ist schon 84 Jahre alt. Sie hält sich ständig im Tempel auf und lobt Gott. Sie hängt nicht an ihrem Werk, sondern gibt sich dem Gebet hin. Als Maria und Josef das Kind im Tempel darbringen, tritt sie hinzu und spricht prophetisch über das Kind. Sie fühlt sich vom Heiligen Geist gedrängt, prophetische Worte auszusprechen, um die Bedeutung dieses Kindes den Menschen zu offenbaren. Gott hält manchmal für alte Menschen noch ein besonderes Werk bereit. Aber offensichtlich wählt Gott Menschen aus, die sich und ihr Werk losgelassen haben, die bereit sind, sich ganz und gar auf Gottes Willen einzulassen. Wenn solche alten Weisen ihre Stimme erheben, so ist sie frei von dem Druck, die Welt verändern zu wollen. Es ist vielmehr eine Stimme, die durchlässig ist für Gottes Stimme. Und sie ertönt oft nur einen Augenblick, gerade dann, wenn Gott durch sie sprechen möchte.

    Wenn alte Menschen ihre Altersgrenze akzeptieren, dann gewinnt ihr Leben eine neue Fruchtbarkeit. Doch wer etwa in der Firma mit 60 Jahren noch genauso viel und auf gleiche Weise arbeiten möchte wie mit 30, der gerät fortwährend an seine Grenze. Ein Ingenieur wollte mit 58 Jahren als Teamleiter immer noch der Schnellste in seinem Team sein. Das führte ihn an seine Belastungsgrenze. Er musste Überstunden machen und litt zusehends an Schlaflosigkeit. Er musste erst lernen, sich von seiner Blütezeit zu verabschieden und mit seinen Grenzen auszusöhnen. Dann entdeckte er, dass er mit 58 Jahren andere Fähigkeiten hatte, nämlich dass er den jungen Mitarbeitern Sicherheit und Vertrauen vermitteln konnte. Nicht seine Schnelligkeit war gefragt, sondern seine Lebenserfahrung und Weisheit. Aber diese Weisheit kommt erst zum Vorschein, wenn Menschen ihre zeitliche Grenze annehmen und sich damit aussöhnen.

    Die Bibel erzählt von Sara und Elisabeth, die noch im Alter fruchtbar werden und ein Kind gebären. Auch das ist ein schönes Bild. Im Alter will etwas Neues wachsen, etwas, das nicht mehr unser Werk ist, sondern Geschenk der Gnade Gottes. Im Lukasevangelium erklärt der Engel Gabriel Maria die Schwangerschaft der alten Frau Elisabeth: „Für Gott ist nichts unmöglich.“ (Lk 1,37) Wenn alte Menschen sich ganz und gar Gott überlassen, kann mit ihnen noch Großes geschehen, und die Frucht, die in ihnen wächst, kann für viele Menschen zum Segen werden.
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