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Greifenmagier 1 - Herr der Winde

Greifenmagier 1 - Herr der Winde

Titel: Greifenmagier 1 - Herr der Winde
Autoren: Neumeier Rachel
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Ordnung. Jos blieb auf dem Hof und behielt das Fohlen im Auge; er suchte das Dorf nur selten bei Tage auf, obwohl er fast jeden Abend im Gasthof einkehrte. Dort konnte er sich die Neuigkeiten anhören, die Reisende mitbrachten, gemütlich einen Krug Bier trinken sowie seine Steine auspacken, um mit den übrigen Männern Pian zu spielen.
    Kes war weniger glücklich als ihre Schwester. Gern wäre sie auf dem Hof bei Jos geblieben und hätte in Ruhe Brot und Käse genossen. Tesme wäre jedoch traurig gewesen, hätte ihre Schwester es abgelehnt, sie zu begleiten. Tesme war nie glücklich, wenn es schien, dass sich Kes zu sehr wie eine Einzelgängerin verhielt. Sie sagte, Kes wäre eher ein lautloses wildes Geschöpf der Berge als ein Mädchen, und wenn sie so etwas behauptete, zeigte sie damit ihre Besorgnis. Zuzeiten sorgte sie sich tagelang, was für sie beide anstrengend war. Und so erhob Kes keine Einwände gegen die Perlen oder die Schuhe oder den Besuch im Gasthof.
    Sie legten den Weg dorthin zu Fuß zurück. Die Straße war trocken und an den Rändern fest, und Tesme ging gern zu Fuß - merkwürdig für eine Frau, die Pferde züchtete. Kes setzte einen angemessen beschuhten Fuß vor den anderen und dachte an Greifen. An Bronzefedern, die das Sonnenlicht einfingen, und lohfarbene Flanken wie Gold. An Schnäbel, die wie Metall glänzten. Und so wurde sie immer langsamer.
    »Komm schon«, sagte Tesme und setzte ungeduldig hinzu: »Da ist nichts zu befürchten, Kes!«
    Kes blinzelte und entsann sich wieder der alltäglichen Straße und des leeren Himmels. Sie sagte nicht, dass sie im Grunde gar keine Angst hatte. Es lag lange zurück, dass sie Tesme zu erklären versucht hatte, wie sie Menschen, Menschenmengen und den harten Druck ihrer Erwartungen empfand. Seit sie klein gewesen war, hatte es für Kes den Anschein gehabt, dass alle Übrigen die Welt aus einem anderen Blickwinkel betrachteten als sie. Und dass alle anderen mühelos den unausgesprochenen Kodex und die Regeln verstanden, die Kes so ratlos machten. Mit Menschen reden und ihren Erwartungen zu entsprechen versuchen, das war im Grunde nicht direkt Furcht erregend, wohl aber erschöpfend und verwirrend; und in gewisser Weise war diese Verwirrung etwas, das ihr Angst machte. Tesme schien jedoch nichts davon begreifen zu können. Kes hatte es vor langer Zeit aufgegeben, sich gegenüber ihrer Schwester zu erklären.
    Und sie sprach auch nicht von den Greifen. In Tesmes Augen schien es keinen Platz für sie zu geben. Kes bemühte sich, die Bilder der Wärme und der Schönheit zu vergessen und nur die gewöhnliche Landschaft zu sehen, die sie umgab. Ihrer Schwester zuliebe ging sie ein wenig schneller.
    Tesme jedoch, die bislang rasch und ungeduldig ausgeschritten war, die Hände in die Rocktaschen gesteckt, wurde jetzt ihrerseits langsamer. »Kes ...«
    Kes blickte sie fragend an. Das Licht der Sonne strich über Tesmes Gesicht und hob die kleinen Falten hervor, die sich dauerhaft zwischen den Augen und an den Winkeln des breiten Mundes gebildet hatten. Die weizenblonden Haare, mit einem Strang polierter Holzperlen verflochten und zu einem Knoten hochgesteckt, waren von ersten grauen Strähnen durchsetzt.
    Ihre Schwester entsprach, wie Kes erschrocken feststellte, ganz den wenigen schwachen Erinnerungen, die sie von ihrer Mutter hatte. Mit neunzehn war Tesme elternlos geworden: betraut mit den Aufgaben, den väterlichen Hof weiterzubewirtschaften und die viel jüngere Schwester aufzuziehen. Kes' ältere Schwester hatte zweimal geheiratet und war zweimal schnell Witwe geworden, doch Kummer oder Sorge oder das Fortschreiten der Zeit hatten an ihr nie große Spuren hinterlassen. Jetzt aber traten sie zutage. Kes senkte den Blick wieder und schämte sich, ihrer Schwester Sorgen bereitet zu haben.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Tesme sanft. Gewöhnlich wirkte sie leicht abgelenkt, wenn sie mit ihrer Schwester redete. Und das galt auch, wenn sie mit irgendjemandem redete. Stets drehten sich ihre Gedanken um ein Dutzend verschiedene Dinge - zumeist praktischer Natur, die mit der Aufzucht von Pferden und dem Betrieb des Hofes zu tun hatten.
    Kes hatte jedoch den Eindruck, dass Tesme diesmal bei der Sache war. Das bereitete ihr Unbehagen, denn Kes umging am liebsten behutsam die Aufmerksamkeit anderer, sogar die Tesmes, und fühlte sich bloßgestellt, wenn jemand ihr Beachtung schenkte. Ja sogar schlimmer als bloßgestellt: gefährdet. So als stünde sie im
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