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Grappa und die keusche Braut

Grappa und die keusche Braut

Titel: Grappa und die keusche Braut
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Reitstall. Altes Gemäuer aus dem 19. Jahrhundert, umgeben von einem Park. Das Ganze mitten in einem Wald. Die Waldensteiner waren bislang publizistisch unauffällig geblieben – wenn man von einem Schwelbrand, der alljährlichen Theateraufführung zu Weihnachten und einem Reitturnier absah. Irgendwann hatte ich mal gelesen, dass eine Schülerin einen bundesweiten Wettbewerb gewonnen hatte. Sie hatte auf die Fragen, wann zum ersten Mal ein Herz transplantiert und der Gummireifen erfunden worden war, die richtigen Antworten gegeben.

    Mehr wusste ich nicht. In diesen Zeiten, in denen sechzigtausend Menschen in Bierstadt von Hartz IV lebten, interessierte ein knappes Hundert Sprösslinge gut betuchter Eltern erst einmal niemanden.

    Blaulicht blitzende Polizeiwagen überholten mich aufgeregt. Hubschrauber dröhnten in der Luft. Noch drei Kilometer bis zu dem Parkplatz, auf dem ich mit Pöppelbaum verabredet war.

    Ob Kleist wirklich seelenruhig die Spiegeleier verputzte, die Zeitung zu Ende las und sein Handy standhaft ignorierte?

    Die Zufahrt zu der Gaststätte war frei zugänglich. Ich hatte mein Auto gerade erst auf den Parkplatz gelenkt, als Pöppelbaum schon auf mich zukam.

    »Ich hab da eine Idee«, überfiel er mich.

    »Lass mich erst mal aussteigen!« Ich blickte mich um. Von hier aus war das Schloss nicht zu sehen – hohe Bäume versperrten die Sicht.

    »Ich hatte früher mal ein Mädel hier. Katharina. Tochter von so einem Brauereifritzen aus dem Sauerland. Die lebte im Schloss.«

    »Und? Die muss doch inzwischen fünfunddreißig sein«, meinte ich. »Oder versucht sie noch immer, das Abi zu schaffen?«

    Der Bluthund grinste. Neuerdings trug er das Haar kurz und gegelt und warf sich gern in einen Wildhüter-Look mit kakifarbenen Hosen.

    »Um zehn Uhr abends mussten die Insassen im Schloss sein«, berichtete er weiter. »Aber Kathy und ich wollten uns in der Nacht zum Knutschen treffen. Also suchten wir einen Weg, wie ich heimlich ins Schloss gelangen konnte. Es ist nie was aufgefallen und wir hatten auf unserer Parkbank manch heiße, romantische Stunde.«

    »Wayne! Das hört sich nach Endzeitgesabbel eines Kerls an, der in die Midlife-Crisis stolpert«, stellte ich fest. »Verschone mich bitte mit weiteren Details.«

    »Warum musst du immer so grob sein?«, klagte er. »Vielleicht gibt es den Weg von damals noch. Wir könnten versuchen, ihn zu finden. Dazu müssen wir durch den Wald. Und wenn die Lücke in der Mauer noch besteht, sind wir ruck, zuck am Schloss.«

    »Zuerst hören wir uns mal an, was der Einsatzleiter zu verkünden hat.« Ich schaute auf die Uhr. »Die Pressekonferenz beginnt gleich. Los.«

    Den Weg bis zum Schloss gingen wir zu Fuß. Während wir liefen, rief ich Peter Jansen an und teilte ihm mit, dass ich an der Sache dran sei.
    »Der freie Tag verfällt nicht, Grappa«, versprach er. »Und danke, dass du uns nicht hängen lässt. Ich selbst muss jetzt ins Rathaus. Es ist eine Haushaltssperre verhängt worden, weil im Etat ein Loch klafft. Hundert Millionen. Und keiner will es gewusst haben.«

     
    Die Polizei hatte Zäune aufgestellt und Sperrbänder gezogen. Sie ließ nur Journalisten auf das Gelände. Presseausweis war Pflicht.

    »Ich will rein!«, schrie eine Frau. »Meine Tochter ist da drin. Lassen Sie mich los!«

    Sie trat einen der Beamten gegen das Schienbein. Der Mann packte sie an den Armen, erstickte so ihre Bewegungen. Die Mutter schluchzte zum Erbarmen und wurde weggeführt. Pöppelbaum fotografierte die Sache. Bestens. Verzweifelte Angehörige machen sich immer gut in der Zeitung.

    Nun wurden wir kontrolliert. »Der Pressewagen steht fünfzig Meter weiter auf der rechten Seite.«

    Ich nickte. Die mobile Pressestelle der Bierstädter Kripo war mir bekannt. Über uns machte ein Polizeihubschrauber Anstalten zu landen. Der Wind fuhr mir in die Frisur und unter die Jacke.

    Pöppelbaum hielt drauf. Mit der Fotokamera und der Sony. Die Fotos für das Tageblatt und die bewegten Bilder für den WDR.

    Der Heli hatte nun auf dem Schulhof aufgesetzt und die Tür öffnete sich. Friedemann Kleist sprang heraus, begleitet von zwei weiteren Beamten. Ich grinste. So viel zum Thema ›Jeder Mensch ist ersetzbar‹, dachte ich.

    Der Leiter der Polizeipressestelle hatte bereits einige Kollegen um sich versammelt – Kameras und Aufnahmegeräte waren in Position gebracht.

    »Danke, dass Sie gekommen sind«, begann der Sprecher. »Wir haben es mit einer außergewöhnlichen
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