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Grappa und die keusche Braut

Grappa und die keusche Braut

Titel: Grappa und die keusche Braut
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Berufswelt härter zugeht als früher. Die beste Vorbereitung besteht in einer Ausbildung, die erstklassige Qualifikationen bietet. Wer Schule und Studium mit sehr gutem Ergebnis absolviert, hat vielversprechende Aussichten auf einen dauerhaft interessanten und sicheren Arbeitsplatz. Das Konzept unseres Internates qualifiziert die Waldensteiner Schülerinnen und Schüler in besonderem Maße für die Herausforderungen der Zukunft. Die Klassen haben höchstens 18 Schülerinnen und Schüler. So kann eine jede, ein jeder individuell gefördert werden. Nach nur zwölf Schuljahren bestehen die Jugendlichen das Abitur auf hohem Leistungsniveau. Unser Konzept ist sehr gefragt. Bei der Auswahl unserer Schützlinge achten wir darauf, dass die Schülerinnen und Schüler dem Leistungsprinzip positiv gegenüberstehen. Auch ihre Interessen und ihre Persönlichkeit schauen wir uns genau an. Denn wir legen Wert darauf, verantwortliche und mündige Menschen heranzuziehen.

     
    Irgendwo muss dieses pädagogische Konzept erhebliche Mängel haben, dachte ich. Das Töten von Gleichaltrigen war immerhin nicht ausdrücklich vorgesehen.

    Die Gebühr, welche die Eltern für das Internat aufbringen mussten, hatte es in sich: Sie lag pro Monat bei 2.400 Euro. Aber es gab auch Stipendien für begabte Kinder, die dummerweise im Prekariat aufwuchsen.

    Es wurde Zeit zu tippen.
    Zwei Stunden später lehnte ich mich zufrieden zurück.

     
    Amoklauf im Schlossinternat: 16 tote Schülerinnen und Schüler

    Noch liegt vieles im Dunkeln, noch stehen alle unter einem schweren Schock. Was geschah am Morgen im Nobelinternat Schloss Waldenstein? Fest steht, dass die Lehrerin Lara Lindenthal (36) in den frühen Morgenstunden eine SMS mit den beiden Worten Keusche Braut an den Internatsleiter Dr. Lerchenmüller geschickt hat – dem Codewort für eine Bedrohungslage. Der Direktor handelte sofort und sorgte dafür, dass die Schule geräumt wurde.

    Nur der Deutschkurs, den ein 18-jähriger Schüler mit einer Maschinenpistole bedrohte, blieb zurück. Was ging in dem Schulraum vor sich? Der Direktor informierte die Polizei. Die zog alle verfügbaren Kräfte zusammen und riegelte die Schule ab. Es gelang jedoch nicht, Kontakt zu dem Geiselnehmer aufzunehmen. Gegen Mittag eskalierte die Situation: Plötzlich fielen unzählige Schüsse. Glas splitterte. Die Spezialkräfte der Polizei stürmten das Schloss. Zu spät: Alle Schülerinnen und Schüler der betroffenen Klasse waren entweder sofort tot oder erlagen binnen weniger Minuten ihren Schusswunden. Der Täter richtete sich selbst. Nur die Lehrerin hat überlebt. Sie ist schwer verletzt und nicht vernehmungsfähig.

     
    Jansen las den Artikel.

    »Eigentlich ist der Begriff ›Amok‹ hier fehl am Platz«, bemerkte er. »Der Täter hat sich die Waffe ja wohl vorher besorgt und die Sache vermutlich geplant. Amok ist immer etwas Spontanes. Dass einer von einer Sekunde zur anderen ausrastet und tötet. Das, was wir Journalisten ›Amoklauf an Schulen‹ nennen, ist geplanter Massenmord.«

    »Stimmt schon«, räumte ich ein. »Aber es hat sich nun mal so eingeschliffen. Sogar im Polizeibericht ist oft von ›Amoklauf‹ die Rede.«

    »Es kann ja stehen bleiben, Grappa. Ich wollte nur meinem Ruf als Sprachästhet gerecht werden«, lächelte er. »Das Ergebnis ist eh dasselbe. Sechzehn tote junge Menschen. Und das ist schlimm.«
    Im Gegenzug bat er mich, seinen Bericht über das Bierstädter Haushaltsloch zu lesen. Die Stadt war pleite, für alle Bereiche wurden Einsparungen angekündigt und der Regierungspräsident drohte mit dem Einsatz eines Zwangsverwalters.
    »Wer haftet eigentlich, wenn eine Stadt pleitegeht?«

    »Letztendlich der Steuerzahler, Grappa – also wir alle.«

     
    Auf dem Weg nach Hause fuhr ich noch einmal an der Bäckerei Schmitz vorbei. Es hatte sich nichts verändert – die Tür war geschlossen und das Polizeisiegel klebte unversehrt auf dem Rahmen. Ich versuchte erneut, die Pressestelle der Polizei zu erreichen. Niemand hatte Zeit, sich zu kümmern. In meiner Not wählte ich Kleists Handynummer. Er hörte sich meine Bitte geduldig an und versprach, mich zurückzurufen.
    »Gibt es etwas Neues in der Amoksache?«, fragte ich dann noch. »Und jetzt bitte keinen Hinweis auf euren Dienstweg.«

    »Wir konnten kurz mit der Lehrerin reden. Der Täter ist ein achtzehnjähriger Schüler, ausgerechnet einer der Schulsprecher. Er soll seine Tat im Internet angekündigt haben. Angeblich gibt es ein
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