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Grabeskaelte

Grabeskaelte

Titel: Grabeskaelte
Autoren: Maren Schwarz
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darüber. Die Brücke ist verhext. Die scheint all die Lebensmüden magisch anzuziehen. Ich wach oft nachts auf und dann weiß ich nicht, habe ich mal wieder schlecht geträumt, oder ist wieder einer gesprungen …“
    „Wissen Sie noch wie spät es war, als Sie den Aufprall hörten?“, hakte Henning Lüders nach. Er hatte sein Notizbuch gezogen und wartete darauf, dass die Frau weiter sprach.
    „Die elfte Stunde war’s, auf die Minute genau kann ich das allerdings nicht sagen.“
    „Haben Sie sonst noch etwas Ungewöhnliches beobachtet? Ist Ihnen die Frau vielleicht aufgefallen, als sie versuchte nach oben zu gelangen?“
    „Nein, tut mir Leid. Ich habe nichts Außergewöhnliches bemerkt.“
    Hier mischte sich Timo Kant in das Gespräch ein: „Etwa einhundert Meter von hier, dort wo die Straße in einen Feldweg mündet, haben Beamte der Spurensicherung einen weißen Opel Corsa vorgefunden. Er war nicht abgeschlossen. Auf dem Beifahrersitz lag eine Handtasche. An Hand der Papiere die sich darin befanden, ließ sich schnell die Identität des Opfers feststellen. Sie heißt, hieß“, verbesserte er sich, „Cora Birkner, achtunddreißig Jahre alt, verheiratet.“
    Was nun vor ihm lag, hasste Henning Lüders am allermeisten an seiner Arbeit. Es war die Pflicht, die Angehörigen der Toten zu informieren. Da es am Tatort nichts mehr zu tun gab, es deutete ja alles auf Suizid hin, fuhr er schweren Herzens zu der in den Papieren angegebenen Adresse.
    Sein Weg führte ihn in eine gepflegte, ruhig gelegene Eigenheimsiedlung am Rande von Auerbach. Im dahinter liegenden Tal zeichnete sich die Kulisse der Stadt, deren Wahrzeichen die drei Türme waren, ab. Die meisten der tadellos gepflegten Häuser stammten noch aus den dreißiger Jahren. In den Vorgärten blühten Narzissen, Krokusse und Unmengen von Schneeglöckchen. Vor einem weiß gestrichenen, mit Naturschiefern bedeckten Haus hielt er an. Nummer Sieben, hier musste es sein. Widerwillig stieg er aus, öffnete die Gartenpforte, die unverschlossen war, und ging den Kiesweg zum Haus hoch. Nachdem er sich einen Ruck gegeben hatte, drückte er den Klingelknopf. Hastige Schritte näherten sich, dann wurde die Tür aufgerissen, und er sah sich einem großen dunkelhaarigen Mann mit zerzaustem Haar und besorgter Miene gegenüberstehen.
    „Kriminalpolizei“, Lüders zeigte seine Dienstmarke. „Es geht um Ihre Frau.“
    „Ich hab’s geahnt, hatte sie also doch einen Unfall! Ist sie schwer verletzt? Kann ich zu ihr?“ Fast atemlos sprudelten die Worte aus Ralph Birkners Mund. Nun sah er erwartungsvoll sein Gegenüber an.
    „Unfall, nun ja, das ist vielleicht doch nicht die rechte Bezeichnung“, nachdenklich rieb sich der Kommissar das Kinn. „Lassen Sie uns besser reingehen …“
    Kurze Zeit später saß Henning Lüders im Wohnzimmer der Birkners. Was er zu sagen hatte, traf den Ehemann der Toten völlig unverhofft. Ralph Birkner schüttelte immer wieder den Kopf. Er konnte es nicht fassen, stand unter Schock. Zitternd schenkte er sich einen Kognak ein. Erst als der Schnaps zu wirken begann, beruhigte er sich ein wenig. „Ich kann nicht glauben, was Sie mir da eben erzählt haben. Sind Sie wirklich ganz sicher, dass es Selbstmord war?“
    Der Kommissar nickte stumm.
    „Aber das ist unmöglich!“ Ralph sagte diesen Satz mit soviel Nachdruck, das Henning Lüders sich veranlasst sah, nachzuhaken: „Sie zweifeln meine Worte an?“
    „Allerdings! Cora war schwanger, haben Sie gehört? Schwanger!“ Unter Tränen stöhnte Ralph auf: „Sie haben ja keine Ahnung, wie sehr sie sich ein Kind gewünscht hat. Wir hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben. Erst vorgestern Abend hat sie es mir gesagt – sie war der glücklichste Mensch auf Erden – und dann kommen Sie und sagen, sie hätte sich das Leben genommen, sei von der Göltzsch-
talbrücke gesprungen. Können Sie mir verraten, wie ich das glauben soll, ohne dabei den Verstand zu verlieren?“
    Eine lange Pause, in der jeder seinen eigenen Gedanken nachhing, entstand.
    „Das ist in der Tat merkwürdig“, gestand Henning Lüders ein. „Entschuldigen Sie meine Unverblümtheit, aber kann es sein, das Ihre Frau unter Depressionen litt? War sie in ärztlicher Behandlung? Ich meine, wegen ihrer ungewollten Kinderlosigkeit?“
    „Sie glauben mir nicht, wie?“ Mit unverhohlener Verachtung in der Stimme sprach Ralph weiter: „Sie sehen nur, was Sie sehen wollen! Da ist jemand von einer Brücke gesprungen – Selbstmord
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