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Grabeskaelte

Grabeskaelte

Titel: Grabeskaelte
Autoren: Maren Schwarz
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ganz Ohr.“
    Ralph räusperte sich, dann begann er: „Meine Lieben, wenn ihr diese Zeilen lest, dann bin ich für immer von euch gegangen. Erwartet keine Erklärung, versucht es einfach zu akzeptieren. Es ist nicht eure Schuld. In Liebe Cora.“
    „Das war’s?“ ungläubig stellte Henning Lüders diese Frage.
    „Ja, das war’s.“
    „Kein Wort von dem Kind?“
    „Kein Wort, nein! Aber da wir gerade davon sprechen. Ich habe eine Bitte, könnten Sie veranlassen, dass man sie untersucht? Ich meine, um festzustellen, ob sie wirklich schwanger war. Ich muss das einfach wissen, verstehen Sie?“
    „Und ob ich das verstehe. Ich werde mich mit der Gerichtsmedizin in Verbindung setzen. Ich habe ohnehin eine Obduktion angeordnet. Ihre Zweifel haben mich, wie Sie sehen, nicht kalt gelassen. Sobald ich etwas in Erfahrung gebracht habe, melde ich mich bei Ihnen.“
    Lüders wollte gerade auflegen, da fuhr Ralph zögerlich fort: „Da ist noch was. Ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll. Es geht um ihren Schreibkram – davon ist nichts mehr da. Alles weg, die Schubkästen leer, der Schreibtisch ausgeräumt. Irgendwie kommt mir das merkwürdig vor. Ich wollte das nur noch loswerden, wollte, dass Sie es wissen. Vielleicht ist es ja wichtig …“
    Gedankenverloren legte Henning Lüders den Hörer auf. „Merkwürdig“, sinnierte er. „In der Tat, merkwürdig!“ Er versuchte Coras Handlungsweise nachzuvollziehen, aber es gelang ihm nicht. Noch etwas Anderes machte ihn stutzig. Er dachte an den Abschiedsbrief. Fehlte da nicht irgendetwas? Kurz und bündig, fast schon geschäftsmäßig verfasst, kam er ihm vor. War das Coras Art? Wie vertrug sich diese wortkarge Nachricht mit ihrer sonstigen Gewohnheit stundenlang zu schreiben? Er würde Ralph Birkner bitten, ihm eine Kopie des Briefes zuzusenden. Er wollte ihn in aller Ruhe noch einmal unter die Lupe nehmen.

    Die Obduktion von Coras Leiche ergab, dass sie tatsächlich in der siebten Schwangerschaftswoche war. Spuren von Gewaltanwendung konnten nicht festgestellt werden. Auch ihr Abschiedsbrief enthielt keinerlei Anhaltspunkte, die eine weitere Untersuchung gerechtfertigt hätten. Kommissar Lüders ging in Pension. Der Fall Cora Birkner wurde zu den Akten gelegt. Einzig der Ehemann der Toten weigerte sich noch immer standhaft, die Richtigkeit der festgestellten Todesursache zu akzeptieren …

5
    Seit einigen Wochen genoss Henning Lüders seinen wohlverdienten Ruhestand. Er hatte seine Wohnung aufgegeben und war, wie seit langem schon geplant, zu seinem langjährigen Freund Rüdiger Paulus, einem eingeschworenen Junggesellen, gezogen. Rüdiger wohnte in Grünau, am Stadtrand von Leipzig. Er besaß ein kleines Häuschen in der Nähe des Kulkwitzer Sees und arbeitete, wie auch Henning, als Kriminalkommissar. Die beiden Männer kannten sich schon aus ihren Kindheitstagen. Zudem verband sie eine große Leidenschaft: das Angeln. Nach dem Tod seiner Frau fuhr Henning sooft, wie es sich einrichten ließ, zu seinem Freund. Ein paar freie Tage auf dem Wasser verbracht, stellte für ihn noch immer die beste Erholung dar. In Rüdigers altersschwachem Kahn, umgeben vom Zwitschern der Vögel und dem Rauschen des Schilfs, gelang es ihm abzuschalten und seine Seele baumeln zu lassen. Nun war er für ganz nach Leipzig übergesiedelt und bereute seine Entscheidung nicht. Er fühlte sich hier wohl.
    Rüdiger war zwei Jahre jünger als er, was bedeutete, dass er noch eine Weile auf seine Rente warten musste. Doch das hielt die Freunde nicht davon ab, Pläne für die Zukunft zu schmieden. Ein Boot wollten sie sich von ihrem Ersparten kaufen, reisen und das Leben genießen, solange sie es gesundheitlich noch konnten.
    Als eingefuchster Kriminologe konnte Henning es nicht lassen, sich ständig nach Rüdigers aktuellen Fällen zu erkundigen. Da die Verbrechensrate in Leipzig um ein Vielfaches höher war als in der Provinz aus der er kam, gab es für beide einen schier unbegrenzten Fundus, aus dem sie schöpfen konnten. Auch bei ihrem heutigen gemeinsamen Abendessen ging es wieder einmal um einen kniffligen Fall, den Rüdiger zu lösen hatte. Es handelte sich um den gewaltsamen Tod einer Verlegerin. Sigrun Koch, zweiundfünfzig Jahre alt, geschieden und Inhaberin, des noch nach ihrem Vater benannten Verlages, war in der vergangenen Nacht ermordet wurden. Die Putzfrau fand sie am frühen Morgen. Man hatte ihr den Schädel mittels einer schweren Bronzestatue zertrümmert. Der oder die
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