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Grabeskaelte

Grabeskaelte

Titel: Grabeskaelte
Autoren: Maren Schwarz
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zwangsläufig über den Verlagsalltag aneignete, umso deutlicher wurde mir klar, dass wohl die wenigsten der Lektoren einen Blick in meine Leseproben geworfen hatten. Für einen Autor, und sei er auch noch so begabt, gab es ohne Titel oder bereits bekannten Namen kaum eine Chance. Da ich die beiden letztgenannten Dinge nicht besaß, gehörten meine Manuskripte der Spreu an und waren – obwohl es ihnen weder an Spannung noch an mangelndem Einfallsreichtum fehlte – es nicht wert, dem Weizen zugeordnet zu werden. So dümpelte ich von Buch zu Buch. Manchmal war ich auch kurz davor aufzugeben, all meine geistigen Ergüsse zu vernichten und mich Aufgaben zu widmen, die mehr Hoffnung auf Erfolg versprachen als das Schreiben. Doch das Wissen, dass genau das von mir erwartet wurde, gab mir die Kraft dazu, es immer wieder aufs Neue zu versuchen. Ich wusste, dass mein Selbstbewusstsein unweigerlich auf ewig verschwinden würde, wenn erst meine Familie Wind davon bekäme. Denn mir war klar, dass die dann unvermeidbaren Versuche mich zu trösten in den Sätzen gipfeln würden: „Na endlich hast du Vernunft angenommen … Das hättest du dir alles ersparen können … Ich habe dir das ja schon immer gesagt … Aber du wolltest ja nie hören …“
    Der Faden ließe sich unendlich weiterspinnen. Es wäre das Aus für mich gewesen. Der Selbsterhaltungstrieb war meine Triebfeder. Ich wollte, musste es ihnen allen zeigen. Daher schrieb ich mit dem Mut der Verzweiflung unbeirrbar weiter.
    Nach Wochen, bis in die Nacht hinein verbrachter Stunden am Laptop, war es dann endlich soweit. Auf zweihundertfünfzig Seiten hatte ich auf gewohnt spannungsgeladene Manier ein Verbrechen auferstehen lassen, für das der wirkliche Täter bis heute ungestraft geblieben war. Diesmal hatte ich ins Schwarze getroffen. Ich musste daher auch nicht lange warten und die erste Verlagsanfrage mit durchaus ernsthaftem Interesse landete auf meinem Schreibtisch. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass ich mir mein eigenes Grab geschaufelt hatte …

3
    Obwohl der Tag einen ersten Hauch des nahenden Frühlings mit sich brachte, fröstelte Kommissar Lüders bei dem Anblick, der sich ihm am Fuße der Göltzschtalbrücke bot. Wie oft, so fragte er sich wieder einmal, hatte er schon den Anblick eines Menschen, der durch eigene Hand zu Tode gekommen war, vor sich gehabt. Daran würde er sich wohl nie gewöhnen.
    In seiner mehr als vierzigjährigen Dienstzeit hatte Henning Lüders unzählige Todesfälle untersucht. Aber immer wieder löste der Anblick eines Selbstmörders, oder vielmehr das, was von ihm übrig geblieben war, ein ganz eigenartiges Gefühl in ihm aus. Unbehaglich beugte er sich über die junge Frau, die inmitten ihres Blutes, mit zertrümmertem Schädel und grotesk nach außen verdrehten Gliedern vor ihm lag. Sie hatte langes kastanienbraunes Haar, war von zierlicher Gestalt und schien, soweit man das überhaupt noch beurteilen konnte, sehr hübsch gewesen zu sein. Zum wohl tausendsten Male fragte er sich, was einen Menschen dazu bringen mochte, eine solche Verzweiflungstat zu begehen. Vielleicht war sie ja unheilbar krank, sinnierte er.
    Timo Kant, ein Kollege, der sich zusammen mit einer alten, gebeugt gehenden grauhaarigen Frau die mit Kittelschürze und Strickjacke bekleidet war, bis auf wenige Schritte dem Leichnam genähert hatte, unterbrach sein Grübeln.
    Er legte seinem Kollegen, der mit grimmiger Miene gedankenverloren vor sich hin starrte die Hand auf die Schulter.
    „Henning, das hier ist Frau Trinks, Erna Trinks. Sie wohnt dort hinten in dem kleinen Häuschen.“ Während er sprach wies er in südliche Richtung: „Sie hat uns verständigt.“
    Nach einer kurzen Begrüßung ermunterte Kommissar Lüders die Frau zum Sprechen: „Na dann lassen Sie mal hören.“
    „Ja also, ich war draußen, die Hühner füttern, da habe ich den Schrei gehört – einen Schrei sage ich Ihnen, der konnte einem das Blut in den Adern gefrieren lassen – hatte so gar nichts Menschliches an sich. Ja und gleich darauf der dumpfe Aufprall.“ In einer Geste hilfloser Verzweiflung hielt die alte Frau sich beide Ohren zu.
    „Wenn mein Mann noch leben würde und ich das Häuschen nicht hätte, dann wäre ich schon längst auf und davon, das können Sie mir glauben Herr Kommissar!“
    In einer Geste ohnmächtiger Wut erhob sie ihre zu Fäusten geballten Hände in Richtung des monströsen Ziegelsteinbauwerks.
    „Eines Tages werde ich wohl noch irre
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