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Grabeskaelte

Grabeskaelte

Titel: Grabeskaelte
Autoren: Maren Schwarz
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überschäumenden Ideenreichtum ausgestattet war. Mir die verrücktesten Geschichten auszudenken, betrachtete ich anfangs als Spiel: Szenarien, die mich der Realität entführten und mir halfen, in schlaflosen Nächten etwas Ruhe zu finden. Es war ja so einfach, mich in die Fiktion meiner Träume zu flüchten! Ich war mir dabei durchaus bewusst, dass ich vor der Wirklichkeit floh – aber es half! Ich ließ es zu, dass die tatsächlich wichtigen Dinge des Lebens sich mit der Scheinwelt meiner Träume vermischten. Manchmal wachte ich auf und für einige wenige glückselige Sekunden glaubte ich, meine wahren Nöte wären womöglich nur ein Gespinst meiner Fantasie, wären so unreal wie die Handlungen meiner Romane. Eigentlich sollte es daher für mich nicht verwunderlich sein, dass das, was ich niederschrieb, immer in dieselbe Richtung ging: Mord und Totschlag, Schuld und deren Sühne, das waren meine Themen. Sie bildeten die Inhalte meiner Bücher. Heute Nacht jedoch begriff ich, dass mein bisheriges Wirken einzig dem Zweck diente, meine Ängste zu kompensieren. Meinen Frieden konnte ich aber nur wieder finden, wenn ich endlich damit begann niederzuschreiben was damals, in jener unheilvollen Nacht wirklich geschah. Meine ungewollte, durch reinen Zufall ergebene Einbeziehung in die Ereignisse einer längst vergangenen Zeit verlangten nun ihren Tribut. Ich musste mein Wissen offenbaren. Es nützte mir nichts, wenn ich, wie bisher, verdrängte, was sich vor meinen Augen abspielte. Grauen erregende Bilder deren unschuldiger Zeuge ich wurde und die sich auf ewig in meine Seele eingebrannt hatten. Die Dinge dieser Nacht konnte ich nicht ungeschehen machen, doch mein Wissen konnte dazu beitragen, Gerechtigkeit herbeizuführen. Über allen Zweifeln wusste ich, dass ich schnellstmöglich die erschütternden Geschehnisse von damals aufdecken und der Wahrheit zum Sieg verhelfen musste. Erst dann würde die mahnende Stimme meines Gewissens auf immer verstummen.
    Fröstelnd schaltete ich den kleinen Gaskamin, der sich dem Schreibtisch gegenüber in einer Nische neben einem bis obenhin voll gestopften Bücherregal befand, ein. Das augenblicklich auflodernde Farbenspiel der Flammen, wenn auch nur künstlich erzeugt, wärmte mir Herz und Körper und ich wusste, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Noch während ich mich in den mit einem wärmenden Schaffell ausgekleideten Schaukelstuhl sinken ließ, klappte ich – fest entschlossen mein Vorhaben mit sofortiger Wirkung in die Tat umzusetzen – den Deckel meines Laptops auf. In Gedanken sah ich schon den ersten Satz auf dem Papier stehen. Augenblicke später flogen meine Finger mit virtuoser Geschicklichkeit über die Tasten. Trotzdem schien mir, dass sie meinen Gedanken meilenweit hinterherhinkten. Der Sturzbach, bisher mit Gewalt zurückgehaltener Erinnerungen ergoss sich zu einer nicht enden wollenden Flut. Ich schrieb und schrieb. Die Kaffeetasse stand unberührt neben mir. Ihr Inhalt war inzwischen kalt. Doch ich merkte es nicht. Die Gegenwart existierte nicht mehr. Ein gewaltiger Sog hatte mich ergriffen und riss mich in die Tiefen der Hölle hinab.
    Mit jeder Seite, die ich schrieb, verstärkte sich mein Bewusstsein, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Einem noch zarten Pflänzchen gleich, erwuchs zudem in mir der Glaube, mit diesem Buch den Durchbruch zu schaffen. Endlich hatte ich ein Werk begonnen, an dem die Verlage nicht mehr ungesehen vorübergehen konnten. Zu brisant war sein Inhalt, brisant weil wahr. Wer würde nicht die Lorbeeren ernten wollen, an der Aufklärung eines Verbrechens beteiligt gewesen zu sein. Ich ging von der Einzigartigkeit meines Buches aus, die darin bestand – einem Puzzlespiel gleich – etwas preiszugeben, was Polizei und Gerichtsbarkeit bisher nicht herauszufinden vermochten. Es würde einschlagen wie eine Bombe. Verächtlich sah ich auf den dick aufgeplusterten Hefter mit den bisherigen Absagen hinab. Es war immer das gleiche Spiel. In der Hoffnung auf einen Verlagsvertrag, schrieb ich ein Buch nach dem anderen. Doch jedes Mal, nach Monaten banger Erwartung, kam anstatt der ersehnten Nachricht die Ablehnung. Bis auf wenige Ausnahmen glichen sich die Schreiben auf für mich erschreckende Weise. Eingeleitet von nichts sagenden Höflichkeitsfloskeln mündeten sie stets in dem vernichtenden Satz: „… Leider sehen wir keine Möglichkeit, das Buch in unserem Programm zu veröffentlichen …“
    Je mehr Wissen ich mir
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