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Grabesdunkel

Grabesdunkel

Titel: Grabesdunkel
Autoren: Alexandra Beverfjord
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das er, seit er erwachsen war, zu verdrängen versucht hatte. Dieses blinde Wutgefühl, das ihn alles vergessen ließ. Einmal hatte es ihn einen Welpen mit den bloßen Händen erwürgen lassen. Jetzt war es wieder da. Er hatte die Angst in ihren Augen gesehen, er hatte die gestammelten Bitten gehört. Doch seine Haut war wie Teflon. Worte, Tränen, Schluchzer, alles perlte an ihm ab.
    Er riss ihr den Morgenmantel vom Leib. Zuerst hatte er vorgehabt, sie zu vergewaltigen, sie zu Tode zu ficken. Doch sein Schwanz hatte keinen Appetit. »Wo ist der Film?«, hatte er gezischt, ohne eine Antwort zu bekommen. Helle hatte unter dem Kopfkissen etwas hervorgezogen, er hatte Metall aufblitzen sehen. Ein Messer, das sie für den Notfall dort deponiert hatte. Er hatte es ihr aus der Hand gerissen und die Blattspitze auf ihr großes, nasses Auge gerichtet. »Wo ist der Film?«, wiederholte er, doch er bekam noch immer keine Antwort.
    Er wusste nicht, ob sie aus Unwissenheit nicht antwortete oder weil sie einen Kollaps hatte. Er drückte das Messer gegen den weichen, glänzenden Augapfel, der ihn anstarrte. Dann stach er das Messer hinein. Sie schrie so gellend, dass seine Ohren sich nachher wie mit Watte gefüllt anfühlten. Der Schrei verunsicherte ihn, alles war so unwirklich. Er wich zurück, als er sah, was er getan hatte. Sie schluchzte, schien unter Schock zu stehen. Er wandte sich von ihr ab, durchsuchte die Wohnung verzweifelt nach dem Film, ohne Erfolg.
    Sie atmete noch, als er sie verließ. Er hatte gesehen, wie sich das unverletzte Auge bewegt hatte, es war ihm gefolgt, als er ihr Schlafzimmer durchwühlt hatte. Dann war er aus der Wohnung gestürzt, war ziellos durch die Stadt gefahren.
    Am Tag darauf war ihr Bild in allen Zeitungen gewesen, in allen Nachrichtensendungen. Sie war tot. Der Abgrund hatte sich vor ihm aufgetan. Sein ganz persönlicher Weltuntergang. Als Nyhetsavisen den Prostituiertenring aufgedeckt und den Film gefunden hatte, der ihn ganz eindeutig mit dem Ganzen in Verbindung brachte, war ihm klar geworden, dass das Spiel vorbei war. Die Polizei bekam ihre DNA-Probe, und er wusste, wie das Resultat aussehen würde.
    Lennart Bratt saß da und hörte seinem Golffreund und Mandanten schweigend zu. Seine Hand ruhte auf der Schulter des schluchzenden Tor Vaksdal. Er hatte keine tröstenden Worte für ihn.

Kapitel 64
    Kristine Rosenberg starrte in ein Meer von Blitzlichtern. Links von ihr saß der Leiter des Gewalt- und Sittlichkeitsdezernats der Polizei Oslo, rechts der Chef der Kriminalpolizei. Die Pressekonferenz hatte pünktlich um elf Uhr begonnen. Die Handelshochschulmorde hatten alle nötigen Zutaten: junge Frauen, Prostitution, Promis. Auf dem Tisch stand ein Wald aus Mikrofonen. Ihr Chef ließ sie großzügig die Fragen aus dem Saal beantworten. Zuerst die der Fernsehjournalisten, die waren am einfachsten, denn sie wollten nur, dass sie das bereits Gesagte in etwas anderen Worten wiederholte, damit die Sender jeweils eine eigene Version hatten. Dann kamen die Zeitungsjournalisten, die aufdringlicher und fordernder waren.
    Kikki war erleichtert. Sie hatte den Test bestanden, hatte die harte Anfangsphase erfolgreich hinter sich gebracht. Nur eins plagte sie noch, wie eine kontinuierlich summende Fliege, die sie nicht erwischte: das, was der Ermittler ihr nach der ersten Vernehmung von Tor Vaksdal erzählt hatte, das mit der Mordwaffe. Sie hatten ihn wieder und wieder gefragt: »Wie haben Sie sie umgebracht?« Und Vaksdal hatte immer dieselbe Antwort gegeben: Er habe sie geschlagen, ihr das Messer ins Auge gedrückt, aber sie habe noch gelebt, als er die Wohnung verließ. »Womit haben Sie sie erwürgt?«, hatte der Ermittler gefragt. Tor Vaksdal hatte leicht verwirrt ausgesehen. »Ich habe sie nicht erwürgt.«
    Die Polizei hatte gegenüber der Presse geheimgehalten, wie Helle Isaksen gestorben war, dass man sie mit einem dünnen Kleidungsstück erwürgt hatte.
    Kikki war überzeugt, dass Tor Vaksdal bluffte. Dass das reine Taktik war. Sein Verteidiger Lennart Bratt war ein skrupelloser Mensch. Er würde eine wilde Theorie in den Raum stellen, dass jemand anders der Mörder gewesen sei, einer, der Helle aufgesucht habe, nachdem Tor Vaksdal bei ihr gewesen war.
    Als die Pressekonferenz vorbei war, ging sie zurück in ihr Büro. Da klingelte ihr Handy.
    Â»Hei, Joakim«, sagte sie. »Ich
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