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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub)
Autoren: Tanja Pleva
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breitete sich in ihm aus – bis ihn dieser schrille, entnervende Ton aus dem Traum riss. Verzweifelt hielt er die Augen geschlossen, versuchte, die Bilder festzuhalten. Nein, er wollte nicht aufwachen, er wollte dort bleiben, weiter fliegen, doch es war vergebens. Die Farben waren verschwunden, Dunkelheit umgab ihn, und das Klingeln wurde immer lauter. Die Leuchtziffern seiner Tag Heuer zeigten auf halb zwölf. Er hatte viel zu lange geschlafen. Sein Nacken schmerzte, fühlte sich steif an, und seine Knochen waren vom langen Liegen wie eingerostet. Die heruntergelassenen Jalousien vor den Fenstern verwandelten das Zimmer in eine dunkle Höhle. Auch wenn draußen nicht, wie jetzt in dieser kalten Jahreszeit, alles grau in grau war, war es hier egal, ob es Tag oder Nacht war. Er krabbelte im Dunkeln ans Fußende des Bettes, tastete nach dem Telefon, das unter sein Bett gerutscht war, und brummelte in den Hörer: »Ja?«
    Â»Sam O’Connor?«
    Sam gab einen bejahenden Grunzlaut von sich, während er sich langsam auf den Rücken drehte und den Schlaf aus den Augen rieb. »Mein Name ist Peter Brenner von Europol. Wir haben hier zwei Fälle, die höchstwahrscheinlich miteinander zusammenhängen und …«
    Â»Ich arbeite zurzeit an einem Fall. Tut mir leid«, unterbrach ihn Sam unwirsch.
    Â»Tatsächlich?«, fragte der Mann am anderen Ende der Leitungüberheblich. Sam überlegte, was er über ihn wissen konnte. Der Ton dieses Herrn Sowieso von Europol gefiel ihm überhaupt nicht.
    Â»Nun …«, setzte Sam wieder an, merkte aber, dass er noch nicht wach genug war, um sich einem Wortgefecht zu stellen.
    Â»O’Connor, Sie sind vor zwei Tagen von Ihrem Fall abgezogen worden, weil Sie einen Kirchendiener schwer beleidigt haben. Das ist doch richtig, oder?«
    Â»Er hat mich provoziert.«
    Â»Das interessiert mich nicht.«
    Â»Rufen Sie jemand anderes an, Herr …?«
    Â»Brenner. Das habe ich schon. Alle anderen, die infrage kämen, sind beschäftigt. Sie sind der Einzige, der frei ist. Ich erwarte Sie um vier Uhr in Rom. Ihr Ticket liegt beim Lufthansa-Schalter am Flughafen München für Sie bereit.«
    Sam war inzwischen in seinen schwarz-grau, ehemals schwarzweiß gestreiften Boxershorts und dem ausgeleierten schwarzen T-Shirt in die Küche gegangen und hatte die Espressomaschine angestellt, die sich mit einem lauten Schnarren in Betrieb setzte.
    Â»Ich glaube nicht …«
    In der Leitung klickte es. Sam sah ungläubig auf das Telefon in seiner Hand und dann auf die Digitalanzeige seiner Kaffeemaschine, auf der blinkend »Trester leeren« stand . Nachdem er die Auffangschale für Wasser und Kaffeesatz geleert, ausgewaschen und wieder eingesetzt hatte, erschien eine neue Meldung: »Wasser füllen«. »Auch das sollst du bekommen, wenn du mir dann endlich meine Koffeinspritze gibst«, sagte er leicht gereizt zur Kaffeemaschine. Mit frischem Wasser gefüllt, zeigte sie sich gnädig und spuckte den Espresso ohne weitere Meldungen aus.
    Während der heiße Kaffee seine Kehle hinunterrann, überlegte Sam, ob es ratsam wäre, den Anruf zu ignorieren und sich wieder ins Bett zu legen, oder ob er sich lieber auf den Weg nach Rom machen sollte. Er hasste nichts mehr, als bevormundet zu werden. Und doch musste er sich eingestehen, dass er nicht in der Position war, sich diesem Herrn Brenner zu widersetzen.

    Mit der Tasse in der Hand ging er über den langen leeren Flur, vorbei an seinem Schlafzimmer und einem weiteren geschlossenen Raum, ins Badezimmer. Die Wohnung nahm die gesamte obere Etage einer zweigeschossigen Villa ein, die einer alten Dame gehörte. Sie lag mitten im Grünen im Münchner Stadtteil Obermenzing und grenzte direkt an den Park der Blutenburg. Im Frühling schmückten die großen Kastanien und Fliederbüsche die Wege mit ihren weißen und lilafarbenen Blüten. Jetzt im Winter streckten die Bäume ihre kahlen Äste in den grauen Himmel und gaben die Sicht frei auf den kleinen zugefrorenen See in der Mitte des Parks. Sam nutzte die Anlage lediglich morgens zum Joggen und um seine Gedanken zu sammeln. Dafür war allerdings heute dank des Anrufers keine Zeit.
    Die Wechseldusche vertrieb endgültig den letzten Rest Schlaf aus seinem Körper. Er strich sich mit den Händen die schwarzen, leicht gewellten Haare aus dem Gesicht und wickelte sich
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