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Gottesopfer (epub)

Titel: Gottesopfer (epub)
Autoren: Tanja Pleva
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ein Handtuch um die Hüften. Eine Angewohnheit aus vergangenen Tagen, als sie noch zu zweit hier gewohnt hatten. Dann wischte er den durch den heißen Wasserdampf beschlagenen Spiegel sauber und achtete dabei darauf, dass das Herz und der Abdruck eines Kusses in der Mitte des Spiegels erhalten blieben. Er betrachtete seinen durchtrainierten Oberkörper, der, obwohl Sam Anfang vierzig war, dank regelmäßiger Sit-ups und Liegestütze immer noch aussah wie der eines Dreißigjährigen. Er fuhr sich über die Bartstoppeln, befand aber, dass er noch einen Tag ohne Rasur auskommen konnte, und verließ das Badezimmer. Einen Augenblick lang verweilte er vor dem Zimmer mit der geschlossenen Tür.
    Unheilbar. So hatte die Diagnose des behandelnden Arztes gelautet.
    Er stieß die Tür auf und sah in das leere Zimmer. Auf dem Bett lag eine bunt gemusterte Überdecke. An der Wand hingen große rote und blaue Papierblumen und eine Kopie von van Goghs Sonnenblumen . Die Luft roch abgestanden, hatte keine persönliche Note mehr. Fotos, die auf einer Biedermeierkommode standen, erinnerten an alte Zeiten, als sie noch unbekümmert vor sich hin gelebt und gedacht hatten, dass Krankheiten und Schicksalsschläge vor ihrer Tür haltmachen würden.

3
    Sam musste erst über einen schwarz gesprenkelten Haufen Schneematsch springen, der sich am Bordsteinrand auftürmte, um in das Taxi einsteigen zu können. Im Inneren war es warm und roch nach abgestandenem Schweiß, was in ihm eine leichte Übelkeit aufsteigen ließ. Er öffnete trotz der eisigen Kälte draußen das Fenster einen Spaltbreit und sah in die Augen des dunkelhäutigen Fahrers, der ihn im Rückspiegel beobachtete und darauf wartete, dass ihm sein Fahrgast das Ziel nannte.
    Â»Zum Flughafen bitte.«
    Der Taxifahrer gab Gas, und der Matsch spritzte unter den anfahrenden Reifen auf die parkenden Autos.
    Durch den Spalt atmete Sam die frische Luft ein, holte sein Handy aus der Tasche und suchte unter den gespeicherten Nummern den Eintrag »privat Prof. Klein« . Er wählte, das Freizeichen ertönte, und eine tiefe angenehme Stimme meldete sich.
    Â»Klein.«
    Â»Professor, hier spricht Sam O’Connor.«
    Â»Oh, Herr O’Connor.« Eine Pause entstand, und Sam brach vor Schreck der Schweiß aus.
    Â»Nun, was soll ich sagen? Ihrer Schwester Lily geht es den Umständen entsprechend. Wie ich bereits bei der Einlieferung sagte: Schizophrenie ist eine weitverbreitete Krankheit. Die Ursachen können genetisch-biologischer und psychosozialer Natur sein, die in einem Wechselspiel zueinander stehen. Viren wie der Herpes simplex, ja sogar eine Influenza können Psychosen auslösen. Genauso wie Komplikationen bei der Geburt, Sauerstoffmangel, belastende Lebensereignisse wie ein Todesfall oder der Auszug aus dem Elternhaus – und Drogenkonsum. Wissen Sie,ob Ihre Schwester Drogen genommen hat? Hat sie zum Beispiel Haschisch geraucht?«
    Sam fühlte sich ein wenig überrumpelt. Er hatte im Moment überhaupt keine Lust auf diese Art von Gespräch. »Ich weiß nicht, ob das jetzt der richtige …«
    Â»Der Cannabiswirkstoff THC kann bei Menschen mit genetischer Disposition nach dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell durch nachteilige Beeinflussung der Transmittersysteme zum Beispiel im Hippocampus eine Schizophrenie auslösen. Aber es gibt auch Schizophrenie-Patienten, die häufig Ecstasy-Pillen oder andere chemische Drogen genommen haben. Hat Lily vielleicht Ecstasy genommen? Sie sind doch bei der Polizei, oder nicht?«
    Â»Ich bin bei der Mordkommission, nicht bei der Drogenfahndung, Professor. Und ich wollte Ihnen eigentlich nur sagen, dass ich für unbestimmte Zeit beruflich unterwegs bin, Sie mich aber jederzeit unter meiner Handynummer erreichen können.«
    Â»Ihre Schwester ist bei uns in den besten Händen. Machen Sie sich keine Sorgen, Herr O’Connor.«
    Â»Ich melde mich, sobald ich wieder in München bin.«
    Er beendete das Gespräch und sah aus dem Fenster, ohne wirklich etwas wahrzunehmen.
    Ja, natürlich hatte Lily Drogen genommen, wer hatte das nicht in den Neunzigerjahren, der Hochzeit der Drogen? Aber musste er das nun vor dem Taxifahrer besprechen? Musste er überhaupt irgendwelche Informationen über ihr Privatleben preisgeben, wenn die unumstößliche Diagnose sowieso »unheilbar« lautete? Er hasste es, wenn
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