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Gottes erste Diener

Gottes erste Diener

Titel: Gottes erste Diener
Autoren: Peter de Rosa
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gründlicher«, prahlte er. Er war selbst Katholik und
sagte Berning, er »bewundere das Christentum und wolle es fördern«.
     
    Es kam Hitler anscheinend nie
in den Sinn, daß Jesus, den er in Mein Kampf als »den großen Gründer
dieses neuen Glaubens« und die Geißel der Juden bezeichnet, selbst Jude war —
warum wohl nicht? Ab September 1941 mußte jeder Jude über sechs Jahre im Reich
als Schandzeichen den Davidsstern tragen. Warum bestand Hitler nicht darauf,
daß der gleiche Davidsstern am Lendentuch jedes gekreuzigten Christus im Reich
befestigt wurde? Wäre er so versessen darauf gewesen, seine Art Christentum zu
fördern, wenn er den gekreuzigten Jesus einmal so gesehen hätte, wie er
wirklich war? Angenommen, Jesus wäre an jedem Kreuz in Deutschland nackt
gewesen? Hätten die deutschen Bischöfe und Pius XII so lange geschwiegen, wenn
sie ihren gekreuzigten Herrn ohne sein Lendentuch gesehen hätten?
    Trotz der christlichen
Grausamkeit, die zum Teil den Holocaust vorbereitet hat, sagen immer noch
einige Katholiken, ihre Kirche habe nie geirrt. Fünfzehn Jahre nachdem die Tore
von Auschwitz, Bergen-Belsen, Dachau, Ravensbrück und Treblinka gnädig geöffnet
wurden, und als wolle er die Kritiker Lügen strafen, die sagen, das Papsttum
könne sich nie ändern, verfaßte ein Papst, Johannes XXIII., dies bemerkenswerte
Gebet: »Wir tragen das Kainszeichen auf der Stirn. Durch die Jahrhunderte hat
unser Bruder Abel in dem Blut gelegen, das wir ihn vergießen ließen, und Tränen
geweint, an denen wir schuld sind, weil wir Deine Liebe vergessen haben. Vergib
uns, Herr, für den Fluch, mit dem wir fälschlich ihren Namen als Juden belegt
haben. Vergib uns, daß wir Dich in ihrem Fleisch ein zweitesmal gekreuzigt
haben. Denn wir wußten nicht, was wir taten.« Das war eine gewisse Buße für
über hundert antisemitische Dokumente, die die Kirche zwischen dem sechsten und
dem zwanzigsten Jahrhundert veröffentlicht hat. Nicht ein Konzilsdekret, nicht
eine päpstliche Enzyklika, Bulle oder Pastoraldirektive legt nahe, daß Jesu
Gebot »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« für Juden gilt. Gegen
diese ganze Tradition zeigte Johannes, der »gute Papst«, auf das Kainszeichen
auf seiner eigenen Stirn. Er nahm die Schuld der Kirche an, die
jahrhundertelang das Blut der Juden vergossen hatte, sie als von Gott verflucht
gebrandmarkt hatte. Das Bewegendste ist, daß er die katholische Judenverfolgung
als zweite Kreuzigung Christi im Fleisch seines Volkes bezeichnete. Der Papst,
höchster Vertreter einer heiligen, unfehlbaren Kirche, bat um Vergebung für
diese grauenhaften Sünden und Irrtümer. Unsere einzige Entschuldigung, sagte
er, war Unwissenheit.
    Bevor er Oberhirte geworden
war, war Johannes apostolischer Gesandter für die Türkei und Griechenland
gewesen, als Hitler an die Macht kam. Er stellte viertausend Juden falsche
Taufscheine aus, damit sie sich als Christen ausgeben und dem Holocaust
entgehen konnten. Als der Krieg vorüber und er zum Nuntius in Paris ernannt
war, ging er in ein Kino, um die ersten Bilder von den Überlebenden des
Vernichtungslagers Bergen-Belsen zu sehen. Er kam weinend heraus und sagte: »Dies ist der mystische Leib Christi.« Vielleicht wurde er durch diese
herzzerreißende Erfahrung der erste Papst, der Jesus am Kreuz ohne sein
Lendentuch sah. Papst Johannes fiel es nicht schwer anzuerkennen, daß die
Kirche irrte. Katastrophal irrte, und über viele Jahrhunderte hin irrte. Er war
einer der wenigen Päpste, die sahen, daß der einzige Weg nach vom für die
Kirche darin besteht, sich furchtlos ihrer eigenen Vergangenheit zu stellen,
wie wenig christusähnlich sie auch gewesen sein mag. Fast ein
Vierteljahrhundert nach seinem Tod gibt es noch immer Gläubige, die darauf
beharren, daß die Kirche immer gewesen sein muß, was sie heute ist — trotz der
unabweisbaren Offensichtlichkeit des Gegenteils. Sie sind Millionen, und sie
finden es nicht leicht zu akzeptieren, daß die christliche Kirche, die römische
Kirche, inspiriert von Päpsten, die häufig heiliggesprochen wurden, so grausam
gewesen ist. Oder daß ein Papst nach dem anderen den Evangelientext fast in sein
Gegenteil verkehrt hat: statt »es ist besser, daß ein Mensch für das Volk
stirbt«, »Es ist besser, daß ein Volk für einen Menschen leidet«. Es gibt eine
tragische, aber unleugbare Verbindung zwischen den Scheiterhaufen, den Kreuzen,
den päpstlichen Gesetzen, den Pogromen — und den Gaskammern
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