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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel
Autoren: Fawwaz Hahhad
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Leichenschauhaus in Bagdad vor Augen, sah Kadaver ohne Kopf herumwandeln, verunstaltete Körper ohne Beine, abgetrennte Füße, die umherliefen, Hände, die um Hilfe flehten, und Augen, die im Dunkeln schimmerten.
    Zwischendrin erwachte ich und begriff etwas noch Schrecklicheres, nämlich dass Samer es war, der sie in denTigris, in Mülltonnen und auf Gehwege warf. Und das Schmerzlichste war, dass keine Vaterschaft und kein Sohnsein uns mehr verbinden würde und eine Verständigung selbst über einfachste Dinge zwischen uns nicht mehr möglich war. Ich konnte Samer nur noch für immer verleugnen und vergessen. Er war zu weit gegangen, und er würde nicht mehr umkehren. Er war jetzt ein anderer, mit dem ich nichts mehr zu tun hatte. Ich merkte, dass ich ihn hasste und ihm den Tod wünschte. Mir fiel ein, dass wir vielleicht ähnliche, wenn nicht gleiche Gefühle gegeneinander hegten. Wenn ich ihm schon den Tod wünschte, dann würde Samer ihn mir nicht nur wünschen, sondern bereits daran arbeiten. Was sollte ihn daran hindern? Hatte er mich nicht deshalb zur Abreise gedrängt, damit er nicht gezwungen wäre, mich zu töten? Voll Bitterkeit betrachtete ich mich selbst: Was für ein verrückter Vater war ich, der seinem Sohn den Tod wünschte, nachdem er ihm sein Leben hatte opfern wollen!
14
    Der Ruf zum Morgengebet mischte sich in meine Schreckensbilder, und er war mir ein Rettungsanker, denn er veranlasste mich, aufzustehen und zum Gästehaus zu gehen. Gleich an der Schwelle hörte ich seine klare Stimme. Samer und seine Gefährten verrichteten gemeinsam das Gebet. Ich blickte hinein. Sie waren schon fast fertig mit Beten, sie hockten auf ihren Schenkeln und entboten sich gegenseitig nach rechts und links den Gruß. Ich wandte mich um zur Terrasse, von der man auf die Felder blicken konnte, und blieb dort stehen. Ich hoffte, Samer würde mich nicht sehen.
    Der frischgeborene Morgen malte ein bezauberndes Bild der taufeuchten, von einem leichten Dunstschleier überzogenengrünen Gärten. Wenn es Gott gäbe, dann könnte wohl nur er eine solche Pracht erschaffen und sie so großartig inszenieren. Einen solchen Anblick hatte ich lange vermisst, nun sah ich ihn zur Unzeit und am falschen Ort. Ich wusste, dass ich ab dem morgigen Tag nichts wie dies mehr erblicken würde. Unter der Oberfläche der Schönheit dieser Szene tobten unsichtbare Stürme, und nie wieder würde etwas zugleich so schön und so verstörend sein. Ungern erinnere ich mich an diesen Anblick, weil er so unwirklich war. Er war eine himmlische Erscheinung, erschaffen weniger durch den anbrechenden Morgen als durch meinen Blick auf ihn.
    Laut drang Samers Stimme herüber, als er die Tagesandacht sprach: » Wir und aller Besitz gehören Gott, dem Herrn der Welten. Gott, ich bitte dich um einen guten Tag. Ich nehme Zuflucht zu dir vor allem Übel dieses Tages, der Tage zuvor und jener danach. Verzeihender, Allerbarmer, der du die Sünde vergibst und die Reue annimmst, vergib mir und meinen Eltern und allen Gläubigen am Tag des Gerichts.«
    Immer weniger Lichter glommen in den Häusern in der Ferne, je heller der Tag heraufzog, und das Quaken der Frösche entbot den Resten der abziehenden Nacht den Abschiedsgruß. Eine leichte Brise, die über die Felder und durch die Palmzweige strich, trug den Geruch von Erde und Gras.
    »O Gott, gib meinem Wesen Frömmigkeit und läutere es, denn niemand ist dazu imstande wie du, mein Helfer und mein Gebieter. Ich nehme Zuflucht zu dir vor Wissen, das nichts nützt, vor einem Herzen, das nicht demütig ist, vor einem Wesen, das nicht satt wird, und einem Gebet, das nicht erhört wird.«
    Die ersten Atemzüge des Tages gingen durch das noch schlafende Dorf neben dem Lager. Die Bewohner erwachten auf den Dächern ihrer Häuser oder auf Gras neben Brennholz- und Heuhaufen. Leben und junge Träume waren überall, wo die frischen Sonnenstrahlen sich einen Weg bahnten.
    »Der du aufs Vortrefflichste den Sieg verleihst, Allmächtiger, lass deine gläubigen Diener die Oberhand gewinnen. Du weißt, was der Gemeinschaft deines Propheten Muhammad widerfahren ist. Du allein kannst für sie da sein und ihr helfen, o Gott.«
    Bewässerungskanäle durchzogen dunkel sich erstreckende abgeerntete Felder, Morgenlicht färbte die schillernden Gräben rot. Grüner Klee kontrastierte damit, und breite Rizinusblätter wiegten sich dazu.
    »Gott, lass mich stark sein und gib mir Entschlossenheit, das Richtige zu tun. Lass mein Herz nach dir
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