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Gottes blutiger Himmel

Gottes blutiger Himmel

Titel: Gottes blutiger Himmel
Autoren: Fawwaz Hahhad
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Blut.« In dem Steinbruch nebenan war ein großes Massengrab, aber nicht alle Toten wurden dorthin gebracht. Manche Leichen wurden auch verunstaltet. »Auf dem Boden lagen Hände, Beine, Augen und Eingeweide.« Die verstümmelten Körper waren Trophäen, mit denen die Morde bestialisch und erbarmungslos gefeiert wurden. An den Wänden lehnten und hingen die Werkzeuge, mit denen man hier vorging. Es war ein menschlicher Schlachthof. Unter den Hingerichteten waren ein Polizist, ein Soldat oder Offizier der irakischen Armee, ein Geistlicher, der sich gegen Terror oder für die Teilnahme an den Wahlen ausgesprochen hatte, eine Frau, der Unsittlichkeit nachgesagt wurde, ein Komplize, Spion oder Fahrer für die Amerikaner, ein Universitätsprofessor, ein Dolmetscher … Später würden diese Leichen dorthin gebracht, wo sie ihre Wirkung tun würden: Man hängte sie an Strommasten, schleifte sie durch Straßen, warf sie in den Tigris oder auf eine Müllkippe.
    Abdallah der Syrer erklärte, sie täten nur das, was ihre Feinde auch ihnen antäten. Sie seien gezwungen, sich derselbenMittel wie ihre Feinde zu bedienen. Jede Nachlässigkeit bedeute Schwäche und Unfähigkeit, sich zu wehren. Außerdem nahm der Emir die Gelegenheit wahr, seinen Anhängern die frohe Kunde mitzuteilen, dass ihre Körper zunichtegemacht und ihre reinen Seelen in eine himmlische Ruhestätte erhoben würden, sobald sie sich in die Luft sprengten.
    »Am Tag des Gerichts dürft ihr stolz sein auf eure Tat«, sagte Samer. »Die Kriege, die Gott führt, haben nur den Zweck, die Märtyrer von den Übrigen zu scheiden.« Die Schlacht zwischen Glaube und Unglaube sei im Gange, und die Gläubigen seien aufgerufen, ihren Glauben unter Beweis zu stellen, indem sie sich opferten. »Dies ist der euch verheißene Tag, und wenn eure Taten im Jenseits in jenem alles entscheidenden Akt aufgerechnet werden, dann sollt ihr darauf vorbereitet sein, indem ihr eure Körper zu Bomben macht. Es ist Zeit, eure Körper zu opfern, um entleibt zum erhabenen Schöpfer aufzufahren. Man wird euch im Jenseits fragen: Was hast du getan, um dem Islam zum Sieg zu verhelfen? Was hast du mit deinem Körper, den Gott dir anvertraut hat, getan, was ist aus ihm geworden? Hast du ihn benutzt, um dich in Vergnügungen zu ergehen, oder hast du ihn zur Waffe gemacht, um die Feinde Gottes in Schrecken zu versetzen?« Dann wandte er sich Abu Ubada zu, gewährte ihm einen wohlwollenden Blick und tätschelte ihm die Schulter.
    »In diesem Moment kochte das Blut in meinen Adern«, gestand mir Hazem, »und wenn er mir befohlen hätte, gleich jetzt in den Tod zu gehen, so hätte ich keine Sekunde gezögert. Alles, was er verlangt hätte, hätte ich, ohne Diskussion und ohne nachzudenken, ausgeführt. Der Tod war mir etwas Begehrenswertes geworden, und das Leben sah ich nur als einen Übergang ins Jenseits. Mein einziger Weg war der in den Himmel, um als Märtyrer zu Gott aufzufahren.«
    Erst als er wieder allein war, erlangte er seinen Verstand zurück. Was war mit ihm geschehen? Unter Abdallahs Einfluss war er verwandelt gewesen, einige Stunden lang war er sein Gefangener. Aber auch jetzt, ohne ihn, war er seinem Bann noch nicht ganz entflohen. Es konnte jederzeit wieder passieren, während doch eine Mutter, ein Vater und Geschwister auf ihn warteten und ihn brauchten. Er hatte vor Abdallah nicht deswegen Angst, weil er der Emir war, dem er Gehorsam schuldete, sondern weil dieser die Macht hatte, ihn zu manipulieren und all seine Argumente zu widerlegen. Hazem war entschlossen, keinen Anschlag zu verüben und niemanden zu töten, weder Schiiten noch Amerikaner.
    »Wirst du mir helfen, von hier zu fliehen?«, fragte er mich.
    »Als ich mit Samer über dich sprach, wandte er gar nichts dagegen ein, dass du auf einen Anschlag verzichtest. Selbst dass du mich begleitest, war ihm recht.«
    »Aber er betrachtet mich noch immer als Freiwilligen, deswegen hat er mich doch mitgenommen!«
    »Vielleicht wollte er dir eine Warnung mit auf den Weg geben, eben weil du bald weg sein wirst, damit du nicht auf die Idee kommst auszuplaudern, was du hier gesehen hast.«
    Hazem wollte sich dennoch nicht beruhigen. Ich fragte ihn, ob er wisse, wo wir hier seien. »Östlich von Ramadi, etwa zwanzig Kilometer von der Stadt entfernt«, erfuhr ich. Ich versprach, übermorgen mit ihm aufzubrechen.
    Die ganze restliche Nacht über bekam ich die Bilder von Leichen nicht aus meinem Kopf. Ich hatte wieder die Szenen aus dem
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