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Gordon

Gordon

Titel: Gordon
Autoren: Edith Templeton
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mir vorgestellt hatte, er sei gemein, nur weil er merkwürdige Augen hatte.
    »Sind Sie froh, da raus zu sein?«, fragte ich.
    »Ja. Ich bin froh«, sagte er, »aber ganz bin ich noch nicht draußen. Offiziell entlassen werde ich erst in fünf Tagen.«
    »Ich bin auch froh«, sagte ich. »Ich hätte noch bleiben können. Sie baten mich zu bleiben. Aber ich wollte nicht. Ich werde allerdings nie wieder so ein schönes Leben haben. Aber trotzdem.«
    »Warum sind Sie dann ausgeschieden?«, fragte er.
    Ich gab ihm die Antwort, die ich dem Brigadegeneral gegeben hatte, als ich meinen Abschied eingereicht hatte: »Weil es ein Stillstand war. Eine Treibhausatmosphäre. Ich möchte wieder in London sein, im Mittelpunkt des Geschehens.«
    Es war die Wahrheit, aber nur der Rand der Wahrheit. Den eigentlichen Grund für meinen Abschied hatte ich niemandem gesagt.
    »Da wären wir. Hier ist es«, sagte er und blieb vor einem schmalbrüstigen, heruntergekommenen Haus stehen. »Es hat gar nicht lang gedauert, nicht wahr?« Und in einen salbungsvoll deklamierenden Ton verfallend, fügte er hinzu: »Die Zeit vergeht wie im Fluge, wenn man sich angenehm unterhält.«
    Mir voraus, stieg er zwei armselige, mit grünem Plüsch bezogene Treppenläufe hinauf. Wir traten in einen langen Raum. Die Bar nahe dem Eingang war von Wandlampen hell erleuchtet, aber der größte Teil des Raums lag im schummrigen Zwielicht, das durch die halb zugezogenen verstaubten Cretonne-Vorhänge am anderen Ende hereindrang. An der einen Wand stand ein Klavier. Ein Mann und eine Frau, die wie ein Ehepaar aussahen, bedienten hinter der Theke, an der ungefähr vier Leute auf Barhockern saßen, und ein Mann, der ein Gast sein musste – der Club sah nicht so aus, als könnte er sich einen Pianisten leisten –, klimperte auf dem Klavier herum.
    Wir gingen hinüber zu einem Sofa, das unter dem Fenster stand. Auf ihm lagen zwei flache Kissen. Als ich mich auf das eine setzte, nahm mein Begleiter das andere und schob es mir hinter den Kopf.
    »Sie sehen sehr blass aus«, bemerkte er.
    »Ich bin immer blass«, sagte ich.
    »Ja, das sehe ich«, sagte er, »Sie haben eine sehr blasse Haut. Aber im Augenblick sind Sie weißer, als Sie sein dürften. Ich glaube, ein Whisky wäre für Sie jetzt genau das Richtige.«
    Ich verabscheute Whisky, dennoch protestierte ich nicht, als er die Drinks bestellte. Als man sie uns brachte, nahm ich einen Schluck, verzog vor Widerwillen die Lippen und sagte: »Ich mag keinen Whisky. Habe ich noch nie gemocht. Das erste Mal habe ich ihn mit fünfzehn getrunken. Ein Mann gab ihn mir hinter dem Rücken meiner Mutter, während eines Empfangs bei uns zu Haus. Und ich nahm ihn an, weil es so schrecklich wagemutig war. Aber jetzt gebe ich darauf nichts mehr. Es ist mir ganz einerlei.«
    »Sie wollen damit sagen«, sagte er, »dass Sie jetzt nicht mehr so zu tun brauchen, als seien Sie wagemutig, weil Sie es wirklich sind?«
    »Nein«, sagte ich, »selbst darüber bin ich hinausgewachsen. Ich halte es nicht für so bewundernswert, wirklich und wahrhaftig wagemutig zu sein. Es ist kindisch.«
    Mit der Stimme, die er schon einmal benutzt hatte, sagte er, wie zu sich selbst: »Hinausgewachsen. Kindisch. Ihre Mutter, Ihre Mutter.«
    Ich sah ihn an und wandte mich dann ab.
    Ich war ärgerlich und durcheinander. Er beobachtete mich kalt, lauernd, und seine kalt faszinierte Miene brachte mich umso mehr in Verlegenheit, als sie nicht einen Funken von Bewunderung enthielt. Es war offensichtlich, dass ich ihn als Frau nicht reizte. Dass mich mein Eindruck nicht trog, wurde noch offensichtlicher, als ich mir ins Gedächtnis rief, was bis dahin geschehen war. Nicht nur hatte er mir nicht das kleinste Kompliment gemacht, sondern er hatte auch all die winzigen Gelegenheiten, mich zu berühren, die sich ihm geboten hatten – wie beispielsweise mir eine Hand unter den Ellbogen zu legen, als er mich über die Straße geführt hatte –, ungenutzt verstreichen lassen.
    Wahrscheinlich langweilt er sich und braucht lediglich jemanden, mit dem er sich unterhalten kann, sagte ich zu mir; umso besser. Denn er gefällt mir gar nicht. Und während ich noch immer seinen Blick auf mir spürte, fügte ich in Gedanken hinzu: Es besteht überhaupt kein Grund, sich zu fürchten. Er kann mir gar nichts tun. Und ich erinnerte mich an einen Ausspruch meiner Großmutter: »Eine Frau kann sich immer verteidigen. Und wenn sie das nicht tut, dann will sie nicht.«
    Er sagte:
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