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Gordon

Gordon

Titel: Gordon
Autoren: Edith Templeton
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zu früh«, sagte er. »Noch lasse ich Sie nicht laufen. Sie finden mich sehr seltsam, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte ich.
    Ich war froh, die grünen Plüschstufen hinunterzugehen und wieder auf der Straße zu stehen, im vollen klaren Tageslicht und dem blassen Sonnenschein.
    »Jetzt werde ich Ihnen meinen Garten zeigen«, sagte er. »Zufällig wohne ich in einem Haus mit einem sehr hübschen Garten. Ich weiß, dass er Ihnen gefallen wird.« Und dann fügte er, wieder mit seiner salbungsvoll deklamierenden Stimme, hinzu: »Etwas saubere Luft nach diesem Pfuhl der Verkommenheit!«
    Ich lachte, um mein Unbehagen zu überspielen. Der Garten des Hauses, in dem er wohnte? Erst der Garten und dann das Haus und dann sein Zimmer und dann sein Bett. Aber das ist lächerlich, dachte ich. Er ist kein Major Carter.
    Als habe er meine Gedanken erraten, fügte er hinzu: »Wir werden uns allerdings ein wenig beeilen müssen. Später werde ich zum Essen erwartet.«
    »Das ist mir ganz recht«, sagte ich hastig. »Ich möchte auch früh nach Haus.«
    Wir gingen in Richtung Park Lane, und meine letzten Bedenken verflogen, als wir an einer Bushaltestelle stehen blieben. Wenn er kein Taxi nahm, dachte ich bei mir, konnte ihm nicht allzu viel an mir liegen – ihm ging’s nur darum, die Zeit bis zum Abendessen irgendwie totzuschlagen.
    Im Bus setzte er sich neben mich, ohne mich zu berühren. Wir schwiegen während der ganzen Fahrt. Ich schaute dabei aus dem Fenster, und er beobachtete mich.
    Wir stiegen in South Kensington aus, und nach einem kurzen Fußweg erreichten wir ein hohes graues gusseisernes Tor, dessen einer Flügel angelehnt stand, und traten in einen Garten, der mich hellauf entzückte.
    Er war alt und altmodisch, verfallen und staubig, mit kreisrunden Blumenbeeten, die exakt in die Mitte jedes Rasenstücks gesetzt und mit weiß getünchten Bruchsteinen eingefasst waren. Die geschwungenen Wege waren dürftig bekiest, die Blumen welk, die Sträucher zerzaust, die hohen Bäume mit jämmerlich schütterem Laub bekrönt; selbst das Unkraut, das an den Rändern der Wege spross, sah matt aus.
    Die tief stehende Sonne war hinter einer kleinen Wolkenbank versteckt. Die Luft war schwer und regungslos. Der Himmel hatte sich zugezogen.
    »Er ist schön«, sagte ich. »Hell und gepflegt wäre er schauderhaft. Diese Art von Garten braucht einfach eine gewisse nostalgische Verwahrlosung.«
    »Ich wusste, dass er Ihnen gefallen würde«, sagte er.
    Wir schlugen einen der Wege ein und gingen langsam nebeneinanderher. Er sah mich nicht an, er redete, und ich hörte nicht zu. Er wirkte langweilig und gewöhnlich, und ich fing auch schon an, mich zu langweilen, und konnte nicht begreifen, wie er es noch vor weniger als einer halben Stunde geschafft haben mochte, mich zu Unhöflichkeit und Wut zu reizen.
    Die nächsten paar Schritte lang versuchte ich, mich auf seine Worte zu konzentrieren. Es ging irgendwie darum, dass er einmal während des Krieges zu einer Offiziers-Auswahlkommission gehört hatte. Er blieb stehen und wendete sich zu mir hin, und auch ich blieb stehen und sah ihn an. »Er hat wirklich seltsame Augen«, dachte ich.
    Er sagte gerade: »Es war die reinste Farce. Es gab einfach nicht mehr genügend geeignetes Offiziersmaterial. Die Befragungen wurden – «
    Er warf mich nicht hin, und er stieß mich nicht um. Er fasste mich um die Taille und an die Schultern und bog mich zurück. Ich hatte eine schreckliche Angst zu fallen, aber als ich eine kalte steinerne Oberfläche unter mir spürte, verscheuchte die überraschende Begegnung mit dem Stein meine Angst.
    Er legte mich hin; eine harte Kante schnitt mir in die Kniekehlen, während meine Füße noch immer den Boden berührten, und sobald ich vollkommen ausgestreckt war, war er in mir. Das Ganze hatte vielleicht vier Sekunden in Anspruch genommen.
    Es geschah rasch und beiläufig und mühelos und wirkte gleichzeitig schier unmöglich, wie jede virtuose Leistung. Und natürlich hätte das niemand eine Vergewaltigung nennen können; es fand kein Kampf und keine Gewaltanwendung statt, keine Bedrohung und keine Überwindung eines Widerstands. Ich war weder einverstanden noch abgeneigt. Ich war überhaupt nichts. Man hatte mir nicht die Wahl gelassen, eines von beiden zu sein. Als wir stehen geblieben waren, hatte ich nicht einmal gemerkt, dass hinter mir eine Steinbank war, und er hatte mitten im Satz aufgehört zu sprechen.
    So hingestreckt auf der kalten harten Oberfläche fühlte
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