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Gordon

Gordon

Titel: Gordon
Autoren: Edith Templeton
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»Hinausgewachsen. Zuerst war es der Whisky, und dann war es etwas anderes, hinter dem Rücken Ihrer Mutter. Und jetzt meinen Sie, Sie seien über Ihre Mutter hinausgewachsen. Was bringt Sie auf den Gedanken? Sagen Sie es mir.«
    »Nein«, sagte ich.
    Ich war wütend, dass er schon so viel erraten hatte. »Warum sollte ich?«, fügte ich hinzu, und als ich sein sarkastisches Lächeln sah, sagte ich: »Ich werd’s nicht tun, weil ich nicht will, und Sie können mich nicht dazu zwingen, und wenn Sie sich auf den Kopf stellen!«
    »Alles, was Sie da sagen – ich will, und ich will nicht, und Sie können nicht, und Sie werden nicht –, ist so vollkommen nutzlos.«
    Ich wurde immer wütender. »Und ich weigere mich, mich von Ihnen beeindrucken zu lassen«, sagte ich. »Das ist nur so eine Masche von Ihnen – immer ein, zwei Worte von dem, was ich sage, zu wiederholen und dabei so unendlich weise zu tun! Und es ergibt überhaupt keinen tieferen Sinn. Es ist nichts als – «
    »Reden Sie weiter«, sagte er.
    »Es ist nichts als Gefasel«, sagte ich und warf ihm einen Seitenblick zu. Er lächelte noch immer. Ja mehr noch, er schien sich regelrecht zu freuen.
    »Reden Sie weiter«, sagte er. »Was auch immer Sie sagen, es ist nichts gemessen an dem, was mir meine Patienten an den Kopf werfen.«
    Ich sagte hitzig: »Und Sie müssen Ihren Patienten wirklich eine wahnsinnige Hilfe sein, wenn das alles ist, was Sie an Weisheiten zu bieten haben!«
    »Höchstwahrscheinlich«, sagte er. »Man kann so wenig tun. Aber es macht Spaß. Wissen Sie, als ich in einer Anstalt arbeitete, gab es da so ein altes Mädchen, und jedes Mal, wenn ich sie besuchte, sagte sie zu mir, sie sei die Mutter des Prinzen. Eines Tages sagte ich bei meiner Visite: ›Aber Mutter, ich bin der Prinz, dein Sohn. Erkennst du mich nicht?‹ Sie wurde fuchsteufelswild. Sie wollte mich schlagen. Aber sie konnte nicht. Also drehte sie sich um und schlug stattdessen eine andere Patientin, die neben ihr saß, eine völlig harmlose alte Frau. Hat ihr sogar den Schädel eingeschlagen. Eins der komischsten Dinge, die ich je gesehen habe.«
    Ich sah ihn ungläubig an. »Das ist ja entsetzlich!«, sagte ich.
    »Mumpitz«, sagte er, »und es hat Ihnen Spaß gemacht, sich das anzuhören.«
    »Ich will nichts mehr trinken«, sagte ich. »Ich habe genug.«
    »Dann können Sie mir dabei zusehen, wie ich trinke«, sagte er.
    »Ich will nicht«, sagte ich. »Ich will gehen. Ich habe keine Lust, mit Ihnen zusammen zu sein. Ich weiß, dass es nicht sehr nett ist, das zu sagen, aber mir ist überhaupt nicht danach, nett zu Ihnen zu sein.«
    »Das brauchen Sie auch nicht«, sagte er mit einem hintergründigen Lächeln. »Es spielt gar keine Rolle, was Sie sagen.«
    Während des Sprechens hatte ich mir erstaunt zugehört. Ich hatte noch nie zuvor mit jemandem so geredet; und für meine Unhöflichkeit hatte ich nicht einmal die Entschuldigung, betrunken zu sein.
    Ich hatte schon meine Handtasche an mich genommen, bereit, ihn – zweifellos empört – sitzen zu lassen. Als ich jetzt seine Belustigung sah, fühlte ich mich hilflos. Es war mir also doch nicht gelungen, ihn vor den Kopf zu stoßen. Und so beschloss ich zu bleiben und sagte mir, dass ich es meinem Stolz schuldig sei, nicht eher zu gehen, als bis es mir gelungen sein würde, ihn aus der Fassung zu bringen.
    Eine Zeit lang schwiegen wir uns an.
    Dann sagte er: »Sehen Sie da drüben. Die zwei an der Bar. Neben der Tür.«
    Die zwei Männer, auf die er deutete, kehrten uns den Rücken zu. Sie waren beide mittleren Alters und beleibt. Sie saßen einander zugewandt und unterhielten sich angeregt, und währenddessen streckte einer von beiden langsam und in aller Ruhe die Hand aus, zog dem anderen den Geldbeutel aus der Manteltasche, hielt ihn sich hinter den Rücken, zog den Inhalt heraus, verstaute ihn in seiner Hosentasche und steckte dann den Geldbeutel ohne jede Eile wieder dahin, wo er hergekommen war – und das alles, ohne den Blick vom Gesicht des anderen zu wenden oder das Gespräch zu unterbrechen.
    »O Gott!«, rief ich aus. »So was habe ich ja noch nie gesehen!«
    »Nicht?«, sagte mein Begleiter.
    »Sie müssen hingehen und es ihm sagen«, sagte ich. »Das ist schockierend!«
    »Überhaupt nicht«, sagte er. »Das ist sehr komisch.«
    Ich sah ihn entgeistert an. Er war sichtlich äußerst amüsiert.
    »Jetzt wollen wir gehen«, sagte er.
    »Oh, gut«, sagte ich und stand schnell auf.
    »Freuen Sie sich nicht
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