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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas
Autoren: Nicolas Remin
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Troubetzkoys Kugel Sie getroffen hat. Kurz bevor ich den Großfürsten erschossen habe. Gehen Sie langsam rückwärts. Und kommen Sie nicht auf den törichten Gedanken zu fliehen.»
    Tron folgte Potockis Anweisungen. Seine Emo tionen waren seltsam gedämpft, als wäre alles ein Traum, aus dem er gleich erwachen würde. Seine rechte Hand streckte er tastend nach hinten aus. Als seine Finger die Tür berührten, blieb er stehen.
    «Der Großfürst», sagte Potocki, indem er Tron nachdenklich ansah, «war vermutlich kein besonders guter Schütze. Es ist unwahrscheinlich, dass er Sie bereits mit dem ersten Schuss getötet hat.»
    «Was soll das heißen?»
    Potocki legte den Kopf zur Seite und betrachtete Tron mit zusammengekniffenen Augen – wie ein  Maler ein Bild betrachtet, dem noch ein paar entscheidende Pinselstriche fehlen. «Dass ein Streifschuss an Ihrer Schulter gut ins Bild passen würde», sagte er schließlich. «Es sind die Kleinigkeiten, auf die es ankommt. Und jetzt würde ich es begrüßen, wenn Sie sich nicht bewegen, Commissario.»
    Als Tron das metallische Klacken hörte, mit dem Potocki den Hahn des Revolvers spannte, hatte er wieder das Gefühl, als wäre der größte Teil seines Verstandes weggewischt wie Kreide von einer Tafel.
    Es folgte eine kurze Stille, dünn wie eine neue Haut oder wie frühes Eis auf einem Gewässer am Jahresausklang. Dann fiel – laut wie ein Donnerschlag – der Schuss, und Tron spürte, wie plötzlich ein gewaltiger Hammer gegen seine rechte Schulter schlug.
    Seine linke Hand fuhr an die Stelle, wo er getroffen worden war. Blut, aber nicht viel. Merkwürdigerweise tat die Wunde auch nicht weh. Und merkwürdigerweise schien sie diesen Waldbrand aus dumpfer Panik in seinem Verstand gelöscht zu haben.
    Tron sagte: «Was haben wir in dem Salon Ihrer Frau übersehen?»
    «Das Klavier.»
    «Was war mit dem Klavier?»

    «Überlegen Sie», sagte Potocki geduldig.
    Tron räusperte sich. «Hat vielleicht jemand anders die Mazurka gespielt?»
    Potocki schüttelte den Kopf. «Die Lösung ist ganz einfach. Sie gilt auch für den Tod von Signor Kostolany. Es läuft darauf hinaus, dass man …» Potocki brach den Satz ab und runzelte die Stirn.
    Plötzlich wusste Tron, was Potocki sagen wollte.
    Es war tatsächlich ganz einfach. «Den Zeitpunkt der Tat fälscht?»
    Potocki schien erfreut. «Richtig, Commissario!
    Kostolany war bereits tot, als die Königin mit ihm gesprochen hat. Und Konstancja war tot, als Sie sie auf der Treppe gehört haben.»
    «Und wer hat diese Mazurka gespielt?»
    «Konstancja. Aber Sie haben sich über den Zeitpunkt getäuscht, an dem Konstancja sie gespielt hat.»
    Tron runzelte die Stirn. «Ich verstehe kein Wort von dem, was Sie sagen.»
    Potocki lächelte. «Die Mazurka war ein Kopie.»
    «Wie bitte?»
    «Eine erstklassige Fälschung. Eine perfekte Kopie.
    Konstancja hatte …»
    Den Rest des Satzes konnte Tron nicht mehr verstehen, denn die Tür, vor der er stand, schien sich plötzlich in eine riesige, stählerne Faust verwandelt zu haben. Die Faust traf seinen Rücken, den Bruchteil einer Sekunde später seinen Hinterkopf. Sie katapultierte ihn in den Raum und in das Mündungsfeuer von Potockis Revolver hinein. Unmittelbar danach fiel ein zweiter Schuss, und beißender Korditgeruch breitete sich aus. Dann schlug Tron hart mit der Schläfe gegen die Kante des Tisches, auf dem der Tizian stand. Kurz bevor er das Bewusstsein verlor, hatte er einen äußerst realistischen Traum.
    Er stand mit der Principessa am Fenster ihres Salons im Palazzo Balbi-Valier, und wieder roch er, wie bei ihrem ersten Rendezvous im Teatro Fenice, den leichten Frangipani-Duft, der von ihr ausging. Ein frischer Wind hatte die schwüle Hitze, die über der Stadt lag, vertrieben, den Himmel rein gewaschen. Sie blickten zu den Sternen hinauf – Myriaden von kleinen, glitzernden Lichtpunkten, eine gigantische Brücke aus vergossenem Licht. Mondlicht spiegelte sich in ihren Champagnergläsern, von irgendwoher kam Musik. Er zog die Principessa an sich, dann schloss er die Augen. Sie küsste ihn, und die Berührung ihrer Lippen war so sanft wie der Fall einer Feder.
    Tron lag in seltsam verdrehter Haltung auf dem Boden des Kabinetts. Sein Kopf ruhte auf den Beinen Troubetzkoys, die ihrerseits den Oberkörper von Potocki berührten. Als Bossi seinen Revolver fallen ließ und neben Tron niederkniete, sah er, dass Tron lächelte.

49
    Es war die Musik, die ihn aus seinem Traum erwachen
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