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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas
Autoren: Nicolas Remin
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ziemlich unwahrscheinlich.
    Tron sagte: «Das Problem wird sein, es zu beweisen.» Er lehnte sich zurück und seufzte. «Allerdings gibt es noch eine andere Version. Was wissen Sie über diesen Prozess, der in Triest gegen Signora Kinsky geführt wurde?»
    Potocki legte den Kopf in den Nacken, so als lese er einen Text, der in den Nachthimmel geschrieben stand. Er sagte: «Der Mann von Signora Kinsky starb an einer Lebensmittelvergiftung. Dass Signora Kinsky ihn vergiftet hatte, konnte nicht bewiesen werden.
    Den Prozess um die Erbschaft hat sie allerdings verloren. Seine Familie hat das Testament angefochten.
    Danach war Signora Kinsky mittellos und zog zu uns.»
    «Ein Freispruch aus Mangel an Beweisen?»
    «Ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen, Commissario.»
    «Der Großfürst hat angedeutet», sagte Tron, «dass Signora Kinsky Ihre Frau getötet haben könnte.»
    Und setzte noch hinzu: «Dr. Lionardo meint, dass der Mord leicht von einer Frau hätte begangen werden können.»
    Potocki gab einen prustenden Laut von sich. «Das ist lächerlich. Was hätte sie für ein Motiv?»
    Eifersucht? Neid? Die vage Hoffnung, nach dem Tod ihrer Cousine ihre Stelle einzunehmen? Das waren alles, dachte Tron, plausible Motive. Aber konnte man sich dieses sanfte, gottesfürchtige Geschöpf als kaltblütige Mörderin vorstellen? Er musste plötzlich an das martialische Gehabe Orlows denken – und die Art, wie der Oberst beim Kaffeetrinken den kleinen Finger abgespreizt hatte.
    «Signora Kinsky hatte Ihnen doch schöne Augen gemacht», sagte Tron. «Nach dem Tod Ihrer Frau wären Sie frei gewesen. Ihr frommes Auftreten könnte eine raffinierte Maskierung gewesen sein.
    Niemand käme auf den Gedanken, einer solchen  Frau einen Mord zu unterstellen.»

    Das war reichlich spekulativ, und es überraschte Tron nicht, dass Potocki nicht viel damit anfangen konnte.
    «Hat Troubetzkoy Ihnen das eingeredet?»
    Tron hob die Schultern. «Er hat mich lediglich auf eine Möglichkeit hingewiesen.»
    Sie hatten die Accademia-Brücke hinter sich gelassen und näherten sich dem Rio San Barnaba. Der böige Wind war stärker geworden, und plötzlich roch es nach Regen. Nur wenige Gondeln waren ihnen entgegengekommen, und ohne ihre kleinen Positionslichter an der ferra wären sie unsichtbar gewesen. Tron hatte seine Halsbinde gelockert und seinen Zylinderhut abgenommen, seine linke Hand trieb träge im Wasser. Aus den Palästen, an denen sie vorbeiglitten, drangen Lachen und Gläserklingen, und Tron musste an die Principessa denken, den silbernen Kübel mit der Champagnerflasche – und die truffes en surprise, die im Palazzo Balbi-Valier auf ihn warteten. Immer noch warteten? Ja, sicher. Er würde in spätestens einer Stunde zurück sein. Das hatte er der Principessa versprochen.
    Erst als sie die Ca’Rezzonico passiert hatten und die ersten Tropfen vom Himmel fielen, brach Potocki sein Schweigen. «Was haben Sie mit dem Bild vor, Commissario?»
    «Wir nehmen den Tizian mit.»
    «Und wenn wir auf Troubetzkoy stoßen?» Potockis Stimme klang ängstlich.
    Tron lächelte. «Dann verhaften wir ihn.»

    «Tragen Sie eine Waffe, Commissario?»
    Tron schüttelte den Kopf. «Ich habe noch nie eine gebraucht.»
    Das stimmte nicht, aber Potocki schien Angst zu haben, und Tron hielt es für angebracht, ihm etwas Beruhigendes zu sagen.
    Kurz hinter der Ponte dei Pugni ließ Potocki die Gondel an der Fondamenta Gerardini anlegen. Als sie ausstiegen, flammte ein heftiger, weiß-purpurner Blitzstrahl über den Himmel wie ein Baum aus elektrischem Feuer, und noch während der Donner ertönte, setzte mit überraschender Heftigkeit der Regen ein. Er peitschte böig und von allen Seiten kommend auf sie herab, schlug prasselnd auf die Pflasterung der Fondamenta und hatte Trons Gehrock ein paar Augenblicke später vollständig durchnässt.
    Potocki gelang es trotz des Regens, eine Blendlaterne zu entzünden, und Tron folgte ihm. Zehn Schritte weiter, vor einer rot gestrichenen Tür, zog Potocki einen Schlüssel aus der Tasche. Tron vermutete, dass sie sich jetzt an der Stelle des Rio San Barnaba befanden, wo tagsüber aus einem Lastschiff Obst und Gemüse verkauft wurden, aber es war zu dunkel und der Regen viel zu dicht, um etwas erkennen zu können. Potocki schloss auf, und sie betraten einen durch eine von der Decke hängende Ölfunzel nur spärlich erleuchteten Flur. Tron sah zwei Türen auf der rechten Seite, am Ende des Flurs war undeutlich eine
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