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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas
Autoren: Nicolas Remin
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Moussada?»
    Moussada, heute mehr denn je wie eine Gestalt aussehend, die der Phantasie Scheherezades entsprungen sein mochte, verneigte sich. Dann legte er die Hand auf seinen Krummdolch und sagte: «Drau ßen ist Signore. Weigern sich gehen.» Die Grammatik des Mohren ließ ein wenig zu wünschen übrig.
    «Hat der Mann einen Namen genannt?», erkundigte sich die Principessa.
    «Name Potocki», erwiderte Moussada in seinem  zweckdienlichen Italienisch. Seine Hand ruhte immer noch kriegerisch auf dem blitzenden Krummdolch, dessen lediglich dekorativer Zweck jedoch angesichts der Tatsache, dass der Eindringling bis ins Vestibül vorgedrungen war, deutlich in die Augen stach.
    Die Principessa sah Tron fragend an. «Bist du zu sprechen oder nicht?»
    « Sollte ich zu sprechen sein?»
    Die Principessa zuckte mit den Achseln, griff nach ihrem Zigarettenetui, zündete sich eine Zigarette an und inhalierte tief. Dann sagte sie mit einer Gleichgültigkeit, die so echt war wie die Gemälde, die Alphonse de Sivry an seine ausländischen Kunden verkaufte: «Gib ihm fünf Minuten.»

    Im Schein der Admiralslaternen, die die Flügeltüren zur sala der Principessa an beiden Seiten flankierten, sah Tron, dass von Potockis mondäner, blumendekorierter Erscheinung nicht viel übrig geblieben war.
    Sein Gehrock war noch fleckiger und zerknitterter als bei ihrer letzten Begegnung auf der Questura, und tiefe Furchen schienen sich in wenigen Tagen in seine Stirn und Wangen gegraben zu haben.
    Potocki nahm sich keine Zeit für eine Begrüßung oder eine Entschuldigung wegen seines fast gewaltsamen Eindringens in den Palazzo Balbi-Valier. «Ich weiß», sagte er, ohne dabei die Stimme zu heben, «wo sich der Tizian befindet.»
    Das war ein unmissverständlicher, kurzer Satz, doch Potockis Stimme schien trotzdem von weit her zu kommen, wie ein Geräusch, das sich mühsam um ein Hindernis herum bewegt. Tron musste sich räuspern, bevor er ein Wort hervorbrachte. «Und wo?»
    «In einem Haus am Rio San Barnaba», sagte Potocki. Er packte Trons Arm, und seine Augen schimmerten fiebrig. «Wir müssen uns beeilen, Commissario.»

47
    Als Tron fünf Minuten später in Potockis Gondel stieg, war ein böiger Wind aufgekommen, der in hektischen Stößen auf sie herabfuhr. Blitze ließen den Himmel über der westlichen Lagune aufleuchten, und aus der Ferne war dumpfes Donnergrollen zu hören. Die Luft war immer noch feucht und schmierig, erfüllt von brackigen Wassertröpfchen.
    Ein dumpfer Pesthauch, der über der Wasseroberflä che lag, vermischte sich mit den Ausdünstungen Potockis, der neben Tron Platz genommen hatte. Die Gondel löste sich vom Steg und drehte ihren Bug schwerfällig in Richtung Rialto. Tron sah, wie das matte Positionslicht an der ferra einen trägen Halbkreis in die Dunkelheit malte.
    «Ich hatte Recht.» Potockis Stimme klang heiser.
    «Troubetzkoy hat Konstancja getötet. Ich sagte Ihnen doch, dass sie etwas über ein Gemälde gewusst hat.  Erinnern Sie sich?»
    «Natürlich.»
    «Sie hat den Tizian gesehen. In ihrem zweiten Liebesnest.» Potocki stieß ein bitteres Lachen aus.
    «Und Troubetzkoy hatte Angst, dass sie reden könnte. Deshalb musste sie sterben.»
    «Wie haben Sie von dieser Wohnung erfahren?»
    «Durch einen Schlüssel, den ich heute gefunden habe und der zu keiner Tür im Palazzo Mocenigo passte.
    Signora Kinsky hat mir gebeichtet, was es mit diesem Schlüssel auf sich hatte. Sie kannte auch die Adresse.»

    «Waren Sie bereits da?» Eine törichte Frage, die Tron sofort bereute.
    Potocki lächelte nachsichtig. «Sonst wüsste ich nicht, dass sich der Tizian dort befindet. Ich wollte Sie gleich im Palazzo Tron aufsuchen. Aber da hat mich Ihr Majordomus zum Palazzo Balbi geschickt.»
    «Wenn es stimmt», sagte Tron langsam, «dass  Troubetzkoy Ihre Frau getötet hat, dann hätte ich ihn im Palazzo Mocenigo nur knapp verfehlt. Als wir uns auf der Treppe begegnet sind, hat Ihre Frau noch musiziert. Troubetzkoy hatte höchstens vier Minuten Zeit, um sie zu töten und wieder über den Altan zu verschwinden.»
    «Sie halten es demnach für unwahrscheinlich, dass er der Mörder gewesen ist?»
    Gute Frage, dachte Tron. Hielt er es für unwahrscheinlich? Hätte er es vor einer halben Stunde für wahrscheinlich gehalten, dass er jetzt mit Potocki in dieser Gondel sitzen würde? Und was war die Alternative zur Täterschaft Troubetzkoys? Doch wohl, dass Signora Kinsky ihre eigene Cousine erwürgt hatte. Auch
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