Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit

GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit

Titel: GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
Autoren: S Westerfeld
Vom Netzwerk:
der Decke der Kadettenmesse. Mit der Stimme des Steuermanns sagte sie: »Mr. Sharp, bitte melden Sie sich auf der Brücke. Mr. Newkirk, melden Sie sich bitte auf dem Frachtdeck.«
    Die drei rannten auf die Tür zu.
    »Frachtdeck?«, fragte Newkirk. »Was zum Teufel soll das?«
    »Vielleicht sollen Sie eine Bestandsaufnahme der Vorräte machen«, sagte Dylan. »Diese Fahrt könnte länger dauern als geplant.«
    Alek runzelte die Stirn. Bedeutete »länger«, dass sie wieder nach Europa umkehrten, oder würden sie noch weiter in die Ferne fliegen?
    Während die drei zur Brücke unterwegs waren, spürte er, wie sich das Schiff um sie herum bewegte. Obwohl man keinen Alarm geschlagen hatte, war die Mannschaft in Aufruhr. Als sich Newkirk an der Haupttreppe von ihnen trennte, stürmte ein Trupp Takler in Fliegermontur an ihnen vorbei, ebenfalls nach unten.
    »Wohin zum Teufel wollen die?«, fragte Alek. Takler arbeiteten für gewöhnlich oben an den Seilen, mit denen die riesige Wasserstoffmembran des Schiffes zusammengehalten wurde.
    »Eine totengute Frage«, meinte Dylan. »Die Nachricht des Zaren hat uns wohl auf den Kopf gestellt.«
    Vor der Tür zur Brücke stand eine Wache, und ein Dutzend Boteneidechsen hingen an der Decke und warteten darauf, mit Befehlen losgeschickt zu werden. Das gewohnte Gewimmel von Mann und Tier und Maschinen wirkte nervöser als sonst. Bovril rutschte auf Aleks Schulter hin und her, und Alek spürte durch die Fußsohlen, wie sich das Dröhnen der Triebwerke veränderte – das Schiff lief jetzt mit voller Kraft voraus.
    Oben am Steuerrad hatten sich die Offiziere um den Kapitän versammelt, der eine verzierte Schriftrolle in der Hand hielt. Dr. Barlow befand sich ebenfalls zwischen ihnen, ihren Loris auf der Schulter, und ihr zahmer Beutelwolf Tazza saß neben ihr.
    Von rechts hörte Alek ein Kreischen, und als er sich umwandte, stand er einem erstaunlichen Geschöpf gegenüber …
    Der Zarenadler war zu groß und passte nicht in den Botenkäfig auf der Brücke, stattdessen hockte er auf der Signaltafel. Er wechselte von einem Fuß auf den anderen und flatterte mit den glänzend schwarzen Flügeln.
    Was Dylan gesagt hatte, stimmte. Das Geschöpf hatte zwei Köpfe und natürlich auch zwei Hälse, die verschlungen waren wie zwei gefiederte schwarze Schlangen. Während Alek das Tierchen erschrocken anstarrte, schnappte der eine Kopf nach dem anderen, und eine hellrote Zunge schob sich aus dem Schnabel.
    »Bei den Wunden des Allmächtigen«, entfuhr es ihm.
    »Haben wir dir doch gesagt«, meinte Dylan. »Ein Zarenadler.«
    »Das ist ein Untier, wolltest du sagen.« Manchmal schienen die Schöpfungen der Darwinisten nicht nützlich zu sein, sondern einfach nur abscheulich.
    Dylan zuckte mit den Schultern. »Ein zweiköpfiger Vogel, wie eben auf dem Wappen des Zaren.«
    »Ja, sicherlich«, stöhnte Alek. »Aber auf dem Wappen ist es nur symbolisch gemeint.«
    »Aye, dieses Tierchen ist symbolisch. Es kann aber auch atmen.«
    »Prinz Aleksandar, guten Morgen.« Dr. Barlow hatte sich aus der Gruppe der Offiziere gelöst und war mit der Schriftrolle zu ihnen gekommen. »Wie ich sehe, haben Sie unseren Besucher schon kennengelernt. Ein hübsches Exemplar russischer Tierschöpfung, nicht wahr?«
    »Guten Morgen, Madam.« Alek machte einen Diener. »Ich bin nicht sicher, wovon dieses Wesen ein gutes Beispiel ist, ich finde es allerdings ein wenig …« Er schluckte und schaute zu, wie sich Dylan dicke Falknerhandschuhe anzog.
    »Sehr beim Wort genommen?« Dr. Barlow lachte leise. »Ich denke, Zar Nicholas mag seine Schoßtiere.«

    »Ein zweiköpfiger Bote.«
    »Schoßtiere, pf!«, wiederholte ihr Loris, der einen neuen Platz auf den Käfigen für die Botenschwalben gefunden hatte, und Bovril kicherte. Die beiden Tierchen schnatterten einander Unsinn zu, wie sie es stets taten, wann immer sie sich begegneten.
    Alek wandte den Blick vom Adler ab. »Eigentlich wäre ich mehr am Inhalt der Nachricht interessiert.«
    »Äh …« Sie entrollte den Brief. »Ich fürchte, die ist im Augenblick militärisches Geheimnis.«
    Alek sah sie böse an. Seine Verbündeten in Istanbul hatten nie Geheimnisse vor ihm gehabt.
    Wenn er nur irgendwie hätte dort bleiben können. Glaubte man den Zeitungen, hatten die Rebellen die Herrschaft über die Hauptstadt übernommen, und ihr Einfluss breitete sich im gesamten osmanischen Reich aus. Dort hätte man ihn respektiert und als nützlich betrachtet, nicht als
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher