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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat
Autoren: Andrea Schacht
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Takelage herumklettern konnten. Das wiederum hatte ihnen der Oberbootsmann beigebracht. Und der wusste auch ganz tolle Geschichten vom Klabautermann und so.
    Und dann Weihnachten. Weihnachten auf hoher See – war das ein Fest! Mit Punsch und Braten und Seemannsliedern und Kerzen, und nachts standen sie zu viert auf Deck unter dem Sternenhimmel und ließen sich den warmen Wind durch ihre Haare streichen.

    Und dann vorgestern! Da hatten sie den Äquator überquert, und es hatte eine Äquatortaufe gegeben. Er hatte kein bisschen geschrien, als sie ihn in den Bottich mit Meerwasser getunkt hatten, und Laura hatte auch nur ganz leise gequiekt. Aber Hannah hatte gezappelt und geblökt. Mama hingegen hatte dabei schallend gelacht. Sie war eben wirklich eine Richtige. Und danach hatten sie die halbe Nacht an Deck gesessen, Geschichten erzählt und Lieder gesungen.
    »Komm, Philipp, wir müssen an Deck, sie fangen gleich an«, drängelte Laura jetzt. Niedlich sah sie aus in ihrem weißen Kleid, doch! Heute war Philipp sogar geneigt, seine eitle Schwester mit uneingeschränktem Wohlwollen zu betrachten. Hand in Hand stiegen sie den Niedergang hinauf.
    Das Deck war geschrubbt worden, das Schiff bis über Topp beflaggt, die Matrosen trugen ihre besten Kleider, der Kapitän seine goldbetresste Uniform.
    Die Sonne ließ die Segel weiß leuchten, und der Wind rauschte in der Leinwand und dem Tauwerk.
    Papa wartete schon, in einem weißen Anzug, die Haare wie üblich in Unordnung – da brauchte man sich ja für seinen eigenen Wuschelkopf nicht zu schämen – und Hannah stand in ihrem besten Kleid ganz dicht neben George.
    Und dann kam Mama.
    Der Erste Offizier führte sie über das Deck.
    »Ist sie nicht schön?«, seufzte Laura und hatte schon feuchte Wangen.
    Aber sie hatte recht, sie war so schön wie ein Engel. Ehrlich.
    Sie trug ein Qipao, ein schmales, langes chinesisches Gewand aus weißer Seide mit einem goldenen Chrysanthemenmuster. Herr Wever hatte ihr diesen Stoff zum Abschied geschenkt, und sie musste weinen, als sie ihn ausgepackt hatte. Aber jetzt lächelte sie ganz glücklich und winkte sie beide zu sich. Zu viert standen sie vor dem Kapitän, und der begann mit der Zeremonie.

    Papa antwortete auf seine Frage ganz ernst: »Ja, ich will.«
    Dann fragte der Kapitän Mama.
    Und die zwinkerte Laura und ihm zu, nahm ihre Hände und sagte ganz laut: »’türlich!«
    Mann, die war schon eine prima Sorte, oder?

Nachwort
    Leinen und Baumwolle sind pflanzliche Produkte. Um Wolle zu erhalten, werden die langfelligen Tiere geschoren, aber für die Seide muss der Schmetterling sein Leben lassen, bevor er noch seine Flügel entfalten kann.
    Seide – seit Jahrtausenden ein schimmernder Luxus, unerschwinglich, kunstvoll verarbeitet, Stoff für die Mächtigen und Reichen.
     
    Heute ist echte Seide noch immer teuer, aber nicht mehr unerschwinglich.
    Dieser Umstand hat seine Wurzeln erst in der neueren Zeit. Drei wesentliche Dinge haben dazu beigetragen – die schnelleren Transportmöglichkeiten, die Erfindung äußerst effizienter Webstühle und die Entwicklung des Mikroskops.
    Um 1845 wurden die in Europa gezüchteten Seidenraupen von einer Epidemie beinahe ausgerottet, und erst Louis Pasteur, Chemiker und Biologe, fand die Ursache dieser Krankheit heraus – mikroskopisch kleine Parasiten hatten die Raupen und Schmetterlinge befallen. Durch strenge Auswahl der gesunden Tiere wurde schließlich 1869 die Krankheit besiegt.
    Zu Beginn des Jahrhunderts entwickelte ein genialer Zampeljunge, dem die monotone Arbeit am Webstuhl offensichtlich entsetzlich lästig war, eine Methode, die für das Entstehen der Muster notwendigen Kettfäden automatisch zu heben und zu senken. Auf Basis des mechanischen Webstuhls erfand er das Prinzip der Lochkartensteuerung, die später in der Computertechnik in ähnlicher Weise Verwendung finden sollte. Charles Maria Jacquard war sein Name, und wenn er auch von den modebewussten Abnehmern der gemusterten Seidenstoffe geliebt
wurde – die Weber waren ihm nicht wohlgesinnt. Sie fürchteten zu Recht Preisverfall und Arbeitslosigkeit.
    Obwohl es zu blutigen Aufständen kam und sogar ein Jacquard-Webstuhl öffentlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde – den technischen Fortschritt konnte niemand aufhalten.
    Auch die Kolonialisierung im neunzehnten Jahrhundert eröffnete neue Möglichkeiten für das Geschäft mit der Seide. In Asien wurden Maulbeerbäume und Seidenraupen schon weit länger
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