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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat
Autoren: Andrea Schacht
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offensichtlich seine eigenen Gedanken gemacht. »Aber warum gerade hier und zu diesem Anlass diese Vorführung?«
    »Weil, lieber Waldegg, mein Pate einst geschworen hat, Wilhelm Stubenvoll solle im schreienden Wahnsinn enden. Er
konnte dieses Versprechen nicht mehr einlösen und hat dessen Erfüllung mir vermacht. Hier und vor diesem Publikum geschah es, weil ich Zeugen haben wollte, damit späterhin niemand mehr die geistige Verfassung von Wilhelm Stubenvoll alias Guillaume de Charnay in Frage stellt.«
    »Et voilà!«, sagte seine Mutter Antonia und nickte.
    Die Einzige, die höchst ungewohnt stille schwieg, war meine Tante Caro.
    Laura und Philipp hatte ich an meine Seite beordert, obwohl ich wusste, dass sie weit lieber ihren Vater belagert hätten, und erfreulicherweise hatte George sich zu uns gesellt. Da Philipp eine neue Quelle exotischen Wissens in ihm vermutete, begann er ihn in seiner unnachahmlichen Art sofort mit indiskreten Fragen über das chinesische Leben einzudecken. George sandte mir einen hilflosen Blick zu, aber ich lächelte nur und riet ihm, so wahrhaftig wie möglich zu antworten und auch blutige Details nicht auszusparen. So war man denn von öffentlichen Hinrichtungen über den Verzehr von Hunden zu Nadeln gekommen, die man Kranken in den Leib stach, hatte die Haartracht chinesischer Männer angesprochen, die Frage der Schriftzeichen gestreift, über den Status der kaiserlichen Konkubinen geplaudert und selbstverständlich das Problem der Piraterie in chinesischen Gewässern gründlich erörtert. George war dabei sichtlich aufgetaut.
    Auch bei den anderen Gästen war nach der reichlichen Labung das gewalttätige Zwischenspiel allmählich aus der Unterhaltung gewichen, und das natürliche Interesse am Leben in einem so fernen und unbekannten Land nahm schließlich bei Kaffee und kleinen Küchelchen den größten Raum der Gespräche ein.
    Antonia Waldegg setzte sich zu mir auf das Chaiselongue und nippte an ihrem schwarzen Kaffee.
    »Ein beeindruckender Mann, Ihr Gatte, Ariane.«
    »Nicht mein Gatte mehr.«
    »Mehr denn je.«

    »Meinen Sie?«
    »Nehmen Sie den Rat eines grässlichen alten Weibes an, Ariane?«
    »Ich sehe hier keine grässlichen alten Weiber. Aber wenn eine lebenskluge, charmante Dame mir einen Rat erteilen möchte, würde ich ihr durchaus mein Ohr neigen.«
    »Schmeichelkatze.«
    »Auch Tigerinnen sind Katzen.«
    »Touché!«
    Frau Waldegg zog lächelnd einen Mundwinkel hoch und sah damit ihrem zweigeteilten Gemahl verblüffend ähnlich. Ob das wohl so kam, wenn man lange glücklich verheiratet war?
    »Und was raten Sie mir?«, wollte ich wissen.
    »Ich habe gerade bemerkt, meine Liebe, dass mein Rat gar nicht mehr vonnöten ist. Eine Tigerin wird ihre Beute schon nicht aus den Krallen lassen.«
    »Nein, auch wenn es sich dabei um einen Drachen mit einem eisernen Willen handelt.«
    »Sie haben ein interessantes Leben vor sich. Ich habe es hinter mir und nie bereut. Meistens jedenfalls nicht. Viel Glück, Ariane.«
    Sie klapste mir auf die Hand und erhob sich, um mit Paula Oppenheim zu plaudern. Cornelius Waldegg aber war es, der mir das rechte Stichwort lieferte, um meine Kralle auf die Beute zu legen. Er fragte nämlich in eine Gesprächspause hinein: »Und, Kusan, wann gedenken Sie wieder nach China zu reisen? Mit der preußischen Delegation?«
    »Die Herrschaften haben eine Route gewählt, die mir zu langsam ist. Ich werde vor ihnen dort sein, selbst wenn ich erst Anfang des Jahres aufbreche.«
    Man hörte ihnen interessiert zu.
    »Sie verfügen über schnellere Schiffe? Dampfen Sie oder segeln Sie?«
    »Unserer Gesellschaft gehören einige Frachtklipper neuester Bauart.Wir haben die letzte Tour in vier Monaten erledigt. Der
nächste Klipper, die Silver Moon, wird Ende November Hamburg verlassen, aber ich denke, wir können die Silver Cloud wieder im Januar oder Februar erwarten.«
    »Wie lange werden Sie in China bleiben? Haben Sie überhaupt den Wunsch, sich wieder in Deutschland anzusiedeln? Ich habe aus Ihren Erzählungen den Eindruck gewonnen, dass Sie das Land sehr schätzen.«
    »Wie lange ich bleibe, Herr Waldegg, hängt von den Umständen ab.«
    »Den politischen Entwicklungen, ich verstehe.«
    »Nein, von denen nicht.«
    »Sondern von...?«
    »Von mir, Herr Waldegg. Aber da ich vorhabe, mit meinen Kindern zusammen China kennenzulernen, könnte es einige Zeit dauern, bis Herr Kusan wieder nach Deutschland kommt.«
    Wieder hatte ich es geschafft, eine ganze
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