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Goldbrokat

Titel: Goldbrokat
Autoren: Andrea Schacht
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Gerstäcker hatte ganz bestimmt nicht zu den bevorzugten Autoren von Tante Caros Ferdinand selig gehört, aber Madame Mira trug in ihrem vom Alter gekrümmten Körper die Seele eines wilden Abenteurers und begeisterte sich hemmungslos für derartige Geschichten. Die Kinder liebten sie deswegen bedingungslos.
    »Sie haben einen Bären erlegt, Mama!«, mischte sich jetzt auch meine zerzauselte Tochter ein. »Und sie haben seine Rippen gebraten. Hast du schon mal Bärenrippen gegessen, Mama?«
    »Nein, dieser Genuss ist mir bisher verwehrt geblieben. Das mag aber daran liegen, dass es bei uns weder Piraten noch Bären in ausreichender Menge gibt.«
    »Schade. Können wir nicht mal eine lange Schiffsfahrt machen?«, fragte mein hoffnungsvoller Sprössling nach, dem ich die Erwartung ansah, dass nur wenige Meilen von Köln entfernt die wahre Wildnis begann.
    »Ich werde darüber nachdenken, aber jetzt, meine Mäuse, wird weitergeschlafen.«
    »Ich träum aber von Piraten!«
    »Tu das, mein Sohn«, sagte ich und zog die Decke wieder über ihn. Dann gab ich ihm einen Kuss, den er erst mit einer Grimasse, dann mit einem breiten Grinsen akzeptierte. Dabei zeigte sich sein schiefer Schneidezahn, der ihm ein eigenartig verwegenes Aussehen verlieh und mir einen schmerzhaften Stich verursachte. Genau dieser Ausdruck hatte mich vor zehn Jahren dazu gebracht, mich in seinen unnützen Vater zu verlieben.

    Ich schob das Angedenken an meinen Gatten selig resolut beiseite und half Laura, sich wieder in die Kissen zu kuscheln. Dabei stieß ich auf Captain Mio, der sich am Fußende eingegraben hatte und mich wegen der Störung seiner heiligen Nachtruhe einmal kräftig anfauchte.
    »Du riechst so gut, Mama. Hast du getanzt?«
    »Nein, nur Musik gehört. Ich erzähle euch morgen früh davon. Und nun träumt schön. Meinetwegen von toten Bären und blutrünstigen Flusspiraten.«

Hundertfaches Begehren
    Wer hundertfach begehrt,
hat hundertfaches Leid.
Wer eines begehrt, hat ein Leid.
Wer keines begehrt, hat kein Leid.
     
    Buddha
    An manchen Tagen zitterte er so stark, dass keine Decke ihn wärmen konnte, an anderen war sein Schlaf so tief, dass kein Laut ihn weckte. Manchmal hatte er Fieber, fast immer Durchfall, gelegentlich konnte er einen Becher Saft bei sich behalten. Aber weit schlimmer als die Krämpfe empfand er die Unfähigkeit, seine Gedanken zu kontrollieren. Sie wanderten durch dunkle Gefilde, machten niemals Halt, ließen ihn nicht zur Ruhe kommen.
    Die Mönche sorgten schweigend für seinen immer schwächer werdenden Leib, doch seiner Seele konnten sie nicht helfen. Er rang mit den Ungeheuern seiner eigenen Erinnerungen.
    Und dennoch, die Zeit verging, die Ruhe und Abgeschiedenheit wirkten auf ihre Weise.
    So erwachte er dann auch eines Morgens und erkannte, dass er in der Lage war, die Geräusche richtig zuzuordnen. Sturm umtoste das Kloster auf dem Berg, der Regen, fast wie ein Wasserfall schien er niederzugehen, trommelte hart auf das Ziegeldach, und die hohen Kiefern knarrten unter den Peitschenhieben des Windes.
    Mühsam drehte er den Kopf und erkannte, dass er alleine war. Die Läden an den Fenstern waren geschlossen, eine kleine Öllampe spendete wenig Helligkeit. Der Krug mit dem Saft
stand nahe an seinem Lager, aber er war nicht kräftig genug, um nach dem Becher zu langen.
    Immerhin quälten ihn für den Moment keine Krämpfe, und auch die Kälteschauer schienen vorbei zu sein.
    Er schloss wieder die Augen und lauschte dem strömenden Regen. Irgendwo in der Ecke des Zimmers war eine undichte Stelle, und rhythmisch klatschten Tropfen auf den Boden.
    Das Geräusch wirkte einlullend, und wieder kamen die Gesichte zu ihm. Doch diesmal fand er die Kraft, die Bilder festzuhalten.
    Servatius, mit schwarzgrauem Bart, die dunkle Mähne windzerzaust, das wettergegerbte Gesicht von Falten durchzogen, grinste ihn an. So hatte er seinen Paten in Erinnerung. Eine gute Erinnerung. Aber dann änderte sich die Erscheinung, und plötzlich war das Gesicht unter Wasser, schwebten seine Haare wie Tang um sein stilles Antlitz, seine Lider waren geschlossen, die Falten geglättet.Wellen kräuselten die Oberfläche, und schlammiger Schaum wollte sich über ihn schieben.
    »Nicht!« Mit einer unsäglichen Anstrengung gelang es ihm, das Bild zu klären, und das Wasser wurde wieder ruhig und rein. Unter der gläsernen Hülle öffnete Servatius die Augen und blickte ihn an.
    »Du musst beenden, was ich begann. Du bist mein Erbe.«
    Sagte er
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