Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein
Autoren: Heidi Rehn
Vom Netzwerk:
ich hole Euch. Bitte, kommt sofort mit!«
    »Langsam, langsam.« Gerda musterte Hermine von oben bis unten. Bis vor kurzem war sie noch ihre Gehilfin gewesen. »Schlimm, dass dir das gleich bei einer deiner ersten Geburten passiert. Vielleicht hättest du doch noch ein Jahr länger bei mir bleiben sollen? Auf alle Fälle musst du jetzt ruhig bleiben. So einfach kann ich hier nicht weg. Sag mir, was bei der Fischartin genau passiert ist. Vielleicht fällt mir etwas ein, was ihr hilft.«
    »Hier ist Eure Arbeit doch längst getan! Den Rest erledigen die Frauen allein.« Verzweifelt schüttelte Hermine den Kopf, stellte sich an die Wiege und besah sich den darin schlafenden Jungen. Mit einem Mal senkte sich eine eigenartige Ruhe über sie. Andächtig faltete sie die Hände.
    »Der ist ihm ja wie aus dem Gesicht geschnitten!« Sie fuhr herum, blickte zur Wöchnerin. Als sie an deren Busen ein zweites Kind entdeckte, weiteten sich ihre Augen vor Staunen. »Zwillinge? Und dann sieht auch noch das eine aus wie das drüben bei den Fischarts. Heilige Margareta, steh uns bei! Das ist ein Zeichen.« Sie bekreuzigte sich.
    »Was redest du für einen Unsinn?« Gerda trat zu ihr, rüttelte sie an den Schultern. »Warum soll der Junge aussehen wie der von der Fischartin? Wie soll das gehen?«
    »Fragt nicht mich, fragt lieber die Kelle…«
    Weiter kam sie nicht. Gerda Selege gebot ihr mit einer ungeduldigen Handbewegung zu schweigen. Ein Leuchten huschte über ihr Gesicht.
    »Kelletatin, ich weiß, wie dein Mann ist«, begann sie in überaus mildem Ton und trat vors Bett. »Schon bei seiner ersten Frau war ich als Wehmutter hier im Haus. Glaub mir, ein Mädchen ist ihm ebenso willkommen wie ein Junge. Hauptsache, Mutter und Kind sind wohlauf. Das Beste ist, du überlässt uns also doch den Jungen. Hermine, nimm ihn, schnell. Bring ihn rüber in die Altstadt und leg ihn der Fischartin an die Brust. Je eher sie das Kind am Busen spürt, desto leichter nimmt sie es als das ihre an. Solange einer wie der andere aussieht, wird sie am Ende rasch vergessen, was in Wahrheit geschehen ist. Und du, Kelletatin, bist die Sorge los, wie du deinem Mann die beiden Kinder erklärst.«
    »Was soll sie mir zu den beiden Kindern erklären?« Von den Frauen unbemerkt war der Böttchermeister Rudolf Kelletat in die Stube getreten. Seine stattliche Gestalt füllte den niedrigen Raum sogleich aus, die dunkle Stimme dröhnte durch das Haus. »Von hier wird kein Kind genommen und irgendwohin gebracht! Alles bleibt, wie es ist. In meinem Haus entscheide ich. Ist das klar?«
    Die beiden Hebammen duckten sich erschrocken, die Magd verschanzte sich beim Herdfeuer. Lore aber stellte sich schutzspendend an das Kopfende des Betts zu ihrer Tochter. Gunda blieb keine Wahl. Bebend vor Angst zwang sie sich, ihrem Gemahl direkt ins Gesicht zu sehen.
    »Sieh nur, mein lieber Rudolf, die heilige Margareta war gütig zu uns und hat uns gleich zwei Kinder beschert: einen Jungen, wie du ihn dir gewünscht hast, und ein Mädchen, wie ich es seit Wochen schon so lieblich unter meinem Herzen gespürt habe.« Umständlich reckte sie das Bündel aus ihren Armen in die Höhe, lud Kelletat ein, den neuen Erdenbürger näher zu betrachten.
    Der Böttchermeister reagierte verlegen. Vorsichtig nahm er die Mütze vom Kopf, fuhr sich mit den klobigen Fingern übers glattrasierte Kinn. Seine hellen Augen schimmerten feucht. Endlich gab er sich einen Ruck, ging zu Gundas Bett, kniete nieder und fasste nach ihrer freien Hand. Er hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken. »Liebste, du bist wohlauf! Gott im Himmel sei Dank!«
    Rudolfs sanftes Gebaren entlockte Gunda ein Lächeln. Vielleicht ging die Geschichte doch gut aus. Die rehbraunen Augen starr auf sein breites Antlitz gerichtet, drehte sie das winzige Mädchen zu ihm hin. Lore huschte zur Kiste. Umsichtig nahm sie den Jungen heraus, legte auch ihn zu Gunda ins Bett, so dass Rudolf ihn ebenfalls genauer betrachten konnte. Die beiden Hebammen rührten sich noch immer nicht. Auch die Magd schien die Luft anzuhalten. Lore verharrte neben dem Bett, jederzeit bereit, der Tochter beizustehen. Der breitschultrige Böttchermeister ließ sich Zeit.
    Das Knistern des Herdfeuers füllte die Stube aus. Aufmerksam beobachtete Gunda Kelletats Mienenspiel. Er roch nach milder Frühlingsluft, Harz, Rauch und Fisch. Der zarte Milchduft der Säuglinge verschwand darüber ganz. Dicht beugte Kelletat sich über die Kinder, musterte sie genau. Gundas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher