Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein
Autoren: Heidi Rehn
Vom Netzwerk:
Kind auf ihrem Arm. »Ist das nicht schön? Von jeder Sorte eins: ein Mädchen und ein Junge.«
    Verwirrt starrte Gunda sie an. Wie konnte die Mutter sich freuen? Hatte sie vergessen, was geschehen war? Trug Lore nicht selbst entsetzlich schwer an den Folgen jenes schrecklichen Überfalls? Gundas Blick streifte die Narbe, die das vertraute Antlitz der Mutter seither am Kinn verunstaltete. Für alle Ewigkeit hatten die wüsten Peiniger sich damit in ihre Erinnerung eingeschrieben. Übelkeit stieg in Gundas Kehle auf.
    Gerda brachte ihr den zweiten Säugling ans Bett. Ihre Miene war abweisend. »Zwillinge sind es. Du weißt, was das heißt. Noch ist Zeit. Dein Mann muss nichts erfahren. Soll ich mich um eins von ihnen kümmern? Mir kannst du trauen. Ich werde rasch jemanden finden, der sich um das arme Würmchen kümmert. Am besten nehme ich wohl das Mädchen.«
    Knapp nickte sie zu dem Bündel, das Lore in Armen hielt. Ängstlich drückte die das Mädchen enger gegen die Brust. Gerda reichte den Jungen an Gunda, half ihr, den gierig schnappenden Mund des Kleinen um die Brustwarze zu schließen. Trotz der Nähe vermisste Gunda das Aufflammen von Wärme in ihrem Leib. Sollte eine Mutter nicht etwas empfinden, wenn sie ihr Kind zum ersten Mal am Busen nährte? Während der Kleine zu saugen begann, besah sie sich mit Bangen sein rotes Gesichtchen. Einen kurzen Moment öffnete er die Augen. Gunda meinte, das Herz zerspringe ihr, so vorwurfsvoll erschien ihr der Blick. Die Nase des Jungen war winzig. Dennoch hatte sie bereits einen eindeutigen Höcker gleich unterhalb der Wurzel. Die Kerbe am Kinn und die Form der Augen bewiesen Gunda jedoch rasch etwas, was sie kaum zu hoffen gewagt hatte. Behutsam drehte sie das Köpfchen, besah sich den Nacken. Ein längliches Feuermal zog sich dort entlang. Genau wie bei Gernot! Mit einem befreiten Aufschluchzen sank sie ins Kissen, kostete endlich das glucksende Saugen des Kleinen an ihrer Brust aus. Das dunkelbärtige Ungeheuer löste sich in Nebel auf.
    »Überlässt du mir also das Mädchen?« Gerdas Frage riss sie in die Wirklichkeit zurück. Da war noch ein Kind! Wie gern hätte sie das nun, da mit dem Jungen alles klar war, vergessen. Die Hebamme hatte recht. Ein Kind war genug. Die Zwillingsgeburt warf nur neue Schwierigkeiten auf. Widerwillig schob sie sich in den Kissen hoch. Gerda machte sich bereits an Lores Armen zu schaffen. Die Mutter aber wollte ihr das Bündel nicht geben.
    »Gunda, Kind!«, flehte sie. »Sag doch etwas! Mach dich nicht unglücklich! Auch das hier ist dein Kind. Wir finden schon einen Weg, Kelletat alles zu erklären.«
    Lores Hinweis versetzte Gunda einen Stich. An ihren Gemahl wollte sie jetzt nicht denken. Vielleicht blieb ihr das Glück hold, und er merkte nichts von der Ähnlichkeit des Jungen mit Gernot. So gut kannte der Böttchermeister aus dem Löbenicht den Kaufmannssohn aus der Altstadt glücklicherweise nicht. Außerdem hieß es, Männer schauten sich Kinder selten genauer an. Die Nachricht, einen Sohn zu haben, würde ihn in einen Freudentaumel versetzen.
    Leider aber war da noch das Mädchen. Bei ihm drohte von neuem die Gefahr, dass der Alptraum wahr wurde und der Samen des stinkenden Hundes ihren Leib befruchtet hatte. Immerhin hatte das Mädchen zuerst das Licht der Welt erblickt, wie auch ihre grausame Schändung vor der verbotenen Nacht mit Gernot gelegen hatte. Seltsam, dass sie vorhin ausgerechnet für dieses Kind die ungeahnte Zärtlichkeit empfunden hatte. Ein Schauer überfiel sie. Gerdas Angebot war verlockend. Noch war es leicht, das erste Kind zu vergessen. Nie würde jemand erfahren, dass sie an diesem Tag mehr als einen Jungen geboren hatte. Die Vorstellung gefiel ihr. Doch da war noch etwas, eine eigenartige Unruhe, ein beklemmendes Gefühl. Immer würde es da sein, wenn der Kleine an ihr saugte, wenn ein Mädchen ihren Weg kreuzte. Für einen Moment schloss sie die Augen, horchte in sich hinein. Es half nichts. Sie musste den Blick wagen, auch wenn damit alles zu spät sein würde.
    »Lass es mich sehen«, bat sie mit zitternder Stimme und streckte den freien Arm nach der Mutter aus. Dem Kind an ihrem Busen entfuhr ein schwacher Seufzer. Sacht entglitt ihm die Brustwarze aus den Lippen, und es schlief ein. Lore trottete mit dem kostbaren zweiten Bündel ans Bett, behielt Gerda allerdings argwöhnisch im Auge.
    »Nehmt den Jungen und legt ihn in die Wiege«, wies Gunda die Hebamme an. Erst als das geschehen war, bettete
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher