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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein
Autoren: Heidi Rehn
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Herz klopfte bis zum Hals, als sie zu erkennen meinte, wie er die linke Augenbraue hochzog, die Stirn kaum merklich runzelte. Im nächsten Augenblick war nichts mehr davon zu sehen. Scheinbar ausdruckslos sah er mehrmals zwischen den beiden Säuglingen hin und her, hob schließlich die riesige Hand und stippte mit dem Zeigefinger auf die winzige Nase des Jungen. Sacht fuhr er den markanten Schwung des Nasenrückens nach.
    Jetzt war es so weit! Gunda stockte der Atem. Der wahre Vater der Kinder war ihm klar. Kelletats Lippen verzogen sich zu einem wissenden Schmunzeln, seine Augen funkelten.
    »Wie schön die beiden sind«, sagte er. »Zwei unverkennbare Kelletats! Wenn Gott, der Allmächtige, am Tag der Himmelfahrt seines Sohnes, Jesu Christi, ausgerechnet uns dieses außergewöhnliche Geschenk macht, wird er sich dabei etwas gedacht haben. Am besten nennen wir sie nach meiner verstorbenen ersten Frau und meinem toten Sohn. Agnes und Caspar, das klingt doch sehr gut für zwei am selben Tag geborene Geschwister. Mir wird es großen Trost spenden.«
    Er sah Gunda an. Sie schluckte, unfähig, seinem Blick auszuweichen. Was ging in dem Mann vor, dass er sie so deutlich an seinen Kummer erinnern musste? Vor vier Jahren war seine erste Gemahlin Agnes im Kindbett gestorben. Der kleine Caspar hatte seine Mutter nur wenige Tage überlebt. Kaum ein Tag verging, an dem Rudolf nicht ihrer armen Seelen gedachte. Fortan würde Gunda bei jedem Atemzug des kleinen Mädchens an Rudolfs treue, aufopferungsvolle erste Gemahlin, bei jedem Schreien des winzigen Knaben an die Unschuld seines Erstgeborenen denken. Beschämt und verzweifelt zugleich rang sie mit den Tränen und nickte, ohne ein Wort zu sagen.
    »Dann ist es also beschlossen.« Rudolf beugte sich vor und verschloss ihr den Mund mit einem Kuss. Das geschah so zärtlich und ehrlich, dass Gunda ein weiteres Mal völlig überrumpelt war. Flink richtete er sich auf und sah voller Stolz in die Runde. »Ihr habt es gehört. Meine liebe Frau und ich haben uns entschieden, unsere beiden Kinder Caspar und Agnes zu nennen. In demütiger Dankbarkeit und mit höchster Freude nehmen wir das ungewöhnlich großzügige Geschenk Gottes an.«
    Gerda schnaubte, Hermine schlug sich die Hand vor den Mund. Die Magd dagegen schüttelte den Kopf und stieß ein »Allmächtiger!« aus. Kelletat musste das gehört haben, scherte sich aber nicht im Geringsten darum. Strahlend wandte er sich wieder Gunda zu und griff nach ihrer Hand.
    Eine unerwartete Ruhe überkam sie. Wie hatte sie nur an ihm zweifeln können? Seinem rauhen Auftreten zum Trotz war der Böttchermeister nicht der Mann, der die ihm angetraute Gemahlin in aller Öffentlichkeit im Stich ließ, erst recht nicht auf das törichte Geschwätz zweier übellauniger Hebammen hin. Damit hatte er bewiesen, was sie sich von ihrem einstigen Verlobten Gernot sehnlichst gewünscht hätte: zu ihr zu stehen, ihre Hand zu nehmen, ganz gleich, was die anderen über sie dachten oder sagten. Entschlossen zog sie Kelletat noch einmal zu sich herunter. »Danke«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
    Ohne ein weiteres Wort erhob er sich und ging zum Tisch in der Nähe des Herdfeuers, wo die Magd ihm von der Suppe schöpfte. Hermine nutzte die Gelegenheit und trat noch einmal zum Bett, stierte auf den Jungen in Gundas Armen. Leise murmelte sie: »Kelletat kann sagen, was er will. Ich weiß, wessen Kind das ist.«
    Gunda wollte sie zurechtweisen, doch Gerda kam ihr zuvor. Fest packte sie die jüngere Hebamme am Arm und zischte ihr warnend ins Ohr: »Nimm dich in Acht! Meister Kelletat hat es eben laut und deutlich verkündet: Die beiden Kinder sind ein Geschenk Gottes. Sie sollen ihn darüber hinwegtrösten, dass er seine erste Frau und den Sohn so früh verloren hat. Deshalb tragen sie auch deren Namen.«
    »Und wenn Ihr mir das noch zehn Mal sagt, ändert das nichts an der Wahrheit«, erwiderte Hermine trotzig. »Keine Frau gebiert an einem Tag zwei Kinder vom selben Mann, vor allem nicht zwei so unterschiedliche wie dieses Mädchen und diesen Jungen.«
    Gerda hob die Hand, um ihr eine Maulschelle zu verpassen, doch Hermine war schneller. Flink schlüpfte sie unter dem Arm hindurch und eilte die Stiege hinunter.
    »Pass gut auf, Kelletatin.« Kopfschüttelnd ließ Gerda die Hand sinken. »Vor der musst du dich in Acht nehmen. Gerade jetzt, da du zwei Kinder gleichzeitig an der Brust zu nähren hast, ist das wichtig. Noch ist es nicht überstanden.«
    »Solange ich der
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