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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein
Autoren: Heidi Rehn
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Lore ihr das Mädchen behutsam in die Armbeuge.
    Von neuem überflutete Gunda bei seinem Anblick eine Woge der Zärtlichkeit. Noch ehe sie das Köpfchen gedreht und den Nacken des Kindes begutachtet hatte, wusste sie, was sie tun musste. Nie und nimmer würde sie Gerda das Kind freiwillig überlassen, selbst wenn das ihr Verderben war! Kaum nahm sie wahr, dass sich im Nacken der Kleinen dasselbe Feuermal wie bei Gernot und seinem Sohn abzeichnete. Glücklich hauchte sie einen Kuss auf das winzige, haarlose Köpfchen, drückte das Bündel eng an ihre Brust.
    »Und?« Gerda machte aus ihrer Ungeduld keinen Hehl, ahnte doch auch sie bereits, was das Zaudern bedeutete. »Du weißt, was die Leute reden, wenn eine Frau zwei Kinder zugleich gebiert. Sind es wie bei dir ein Mädchen und ein Junge, ist die Sache eindeutig: Du hast nicht nur mit deinem Gemahl das Lager geteilt.«
    »Was fällt Euch ein, so mit meiner Tochter zu reden?« Zitternd vor Wut hob Lore die Hand. Die Geste hatte etwas Verzweifeltes. Lore war einen guten Kopf kleiner und weitaus zierlicher als Gerda. Unbeeindruckt zuckte die Wehmutter mit den Achseln und sah wieder zu Gunda.
    Unten in der Werkstatt schlug der Hund an, die Katze fauchte. Jemand stieß gegen eines der Fässer, Metall polterte zu Boden. Erschreckt sahen die Frauen einander an. Ein Fremder musste im Haus sein. Um der Gebärenden die nötige Ruhe zu verschaffen, hatte sich der Löbenichter Böttchermeister Rudolf Kelletat bereits am frühen Morgen mit seinem Knecht zur Altstadt aufgemacht. Mit ängstlichem Gesicht schlurfte die bucklige alte Magd vom Herdfeuer zur Bettstatt in der Mitte der geräumigen Wohnstube herüber.
    Die Angst der Frauen erwies sich als unbegründet. Leichtfüßig sprang Gerdas zehnjähriger Sohn Laurenz die Stufen hinauf. »Hier steckst du, Mutter! Du wirst gesucht. Oh, was gibt es denn hier?«, unterbrach er sich selbst. Blitzschnell erfassten seine wachen Augen die Lage. Ohne der Mutter zu erklären, wer sie suchte, lief er erst zur Wiege, dann zum Bett, betrachtete beide Kinder mit einem verzückten Lächeln. »Zwei auf einmal!«, stieß er verwundert zwischen den Lippen hervor.
    Schon beugte er sich zu Gunda herunter und streichelte dem Mädchen mit seinen feingliedrigen Fingern sacht über die Wange. Gerührt beobachtete Gunda ihn. Als sie seiner Augen gewahr wurde, schauderte sie. Laurenz hatte ein grünes und ein blaues Auge! Sie wandte sich zu Gerda. Der erschrockene Ausdruck auf dem Antlitz der Hebamme genügte. Gerda war klar, dass Gunda die Besonderheit entdeckt hatte. Widerstrebend rang sie sich ein Lächeln ab. Gunda erwiderte es zaghaft. Wenn Gerda es gelungen war, ihren Sohn trotz dieses Makels vor bösem Gerede zu bewahren, würde sie mit den Zwillingen ebenfalls zurechtkommen.
    »Oh!«, entschlüpfte es Laurenz. Über der Berührung an der Wange hatte der Säugling den Kopf gedreht. Dabei wurde das Mal sichtbar. Feuerrot zog es sich vom ersten, zarten Haarflaum bis in den Nacken hinunter. Laurenz betrachtete es eine Weile. Schweigend ging er zur Wiege, besah sich den Jungen und legte unwillkürlich den rechten Zeigefinger an seinen Nasenflügel.
    »Wer sucht nach mir?«, fragte Gerda unwirsch.
    Der schlaksige Zehnjährige zuckte zusammen, hob den Blick. »Ich h-h-hab’s v-v-vergessen«, stotterte er.
    »Dann verschwinde wieder!« Gerda stupste ihn zur Treppe. »In einer Wöchnerinnenstube hast du nichts verloren.«
    Eilig sprang Laurenz die Treppe hinunter. Unter dem Gepolter ging das neuerliche Anschlagen des Hundes beinahe unter.
    »Wo seid ihr alle?« Eine aufgeregte Frauenstimme drang nach oben, übertönte das aufgeregter werdende Bellen. Ehe die Magd nach dem Rechten sehen konnte, kam wieder jemand die Treppen heraufgerannt. Ein wirrer, blonder Haarschopf wurde sichtbar. Kurz darauf stand eine junge, erstaunlich kräftige Frau im dämmrigen Wohnraum des Obergeschosses.
    »Hermine, du?« Überrascht starrte Gerda sie an. Das breite Gesicht der jungen Frau war gerötet, ihr Atem ging heftig. Aufgeregt raufte sie sich mit den Fingern das offene Haar. In der Eile hatte sie vergessen, eine Haube aufzusetzen.
    »Die Fischartin, Gerda, schnell, Ihr müsst mir helfen! Es ist entsetzlich. Der Junge ist tot zur Welt gekommen. Sie will es nicht wahrhaben, droht und zetert, ist wie von Sinnen. Was soll ich nur machen? Helft mir, sonst tut sie sich ein Leid an!«
    »In dem Zustand hast du sie allein gelassen?«
    »Ihre Magd ist bei ihr. Ich habe gesagt,
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