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Gold und Stein

Gold und Stein

Titel: Gold und Stein
Autoren: Heidi Rehn
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stellte sich breitbeinig in Positur. »Die Wirtin duldet keine Schlägerei in ihrem Gasthaus.«
    »Setzt diesen Rüpel vor die Tür, dann herrscht sofort wieder Ruhe. Er hat zu viel getrunken und kann seine Finger nicht da lassen, wo sie hingehören.« Der Schwarzbärtige zupfte sich den Stoff seiner Ärmel zurecht und trat einen Schritt beiseite, um Ulrich den Weg zu seinem Widersacher freizugeben.
    »Der Rüpel bist ja wohl du, du elendiger Buchstabenfresser! Dir werde ich zeigen, wohin meine Finger gehören.«
    Erneut wollte sich der Grobian auf ihn stürzen. Ulrich bekam ihn an den Schultern zu fassen und hielt ihn zurück. Schmunzelnd sah der Schwarzbärtige zu, wie Ulrich den Rüpel lahmlegte. Voller Bewunderung betrachtete Agnes sein Antlitz, stutzte, sah genauer hin.
    Zunächst meinte sie, das Licht wäre schuld an der Täuschung. Als sie den Blickwinkel änderte, erkannte sie, dass dem nicht so war. Der Mann hatte tatsächlich verschiedenfarbige Augen! Das rechte war blau, das linke grün. Er war gezeichnet wie sie selbst! Das nahm Agnes vollends für ihn ein.
    »Beruhigt Euch! Oder soll ich mit Euch nach draußen gehen?«, mahnte Ulrich den Grobian. Ihm schien der Makel des Schwarzbärtigen ebenso wenig aufzufallen wie den anderen Männern in der Wirtsstube.
    »Nein, nein«, beeilte sich der Trunkenbold kleinlaut zu versichern und trat einen Schritt zurück. Zögernd sah er zu Ulrich. Die stämmige Statur des Knechts flößte ihm Respekt ein. Im nächsten Moment aber wechselte der Ausdruck auf seinem Gesicht von Achtung zu Abscheu. Da, wo das linke Auge sein sollte, klaffte bei Ulrich eine wulstige Narbe. Die zog sich die gesamte Wange hinunter und war blutunterlaufen. Als der Rüpel das Ausmaß der Hässlichkeit erfasst hatte, grinste er dreist. »Muss ja eine feine Wirtschaft sein, wenn Krüppel wie du hier den Beschützer spielen.«
    Dieses Mal war es an Ulrich, mit der Faust zum Schlag auszuholen. Der Schwarzbärtige war jedoch schneller und schnappte flink nach seiner Hand. »Lasst gut sein! Das ist der Tölpel nicht wert.«
    Offen sah er ihm ins Gesicht. Ihn schien die Narbe nicht im Geringsten zu schrecken, wahrscheinlich, weil er selbst mit einem Makel gezeichnet war. Agnes atmete auf.
    Trotz des entstellten Gesichts war Ulrich mit seinen knapp dreißig Jahren ein ansehnlicher Bursche. Das blonde Haar reichte ihm bis zum Kinn, die Wangen waren glatt rasiert. Auf die Sauberkeit seines Kittels legte er trotz der schweren Arbeit im Sud- und Gasthaus großen Wert, ebenso war er auf überlegtes Auftreten bedacht.
    »Mir ist ein ehrlicher Einäugiger als Beschützer lieber als ein ungehobelter Gast«, wandte Agnes sich an den Grobschlächtigen. »Wenn Ihr ausgetrunken habt, verlasst Ihr bitte die Gaststube und lasst Euch nie mehr hier sehen. Fortan bleibt unser Bierfass für Euch leer.«
    Ulrich begleitete ihre Worte mit einem aufgebrachten Schnauben, der Schwarzbärtige nickte zustimmend.
    »Gut gesagt! Solche wie den dulden wir nicht. In letzter Zeit werden es einfach zu viele, die denken, nur weil sie einmal tapfer gegen die Ordensritter gekämpft haben, könnten sie sich ab sofort alles herausnehmen«, pflichtete ein Gast bei.
    »Recht hast du, fort mit dem stinkenden Narrenesel!«, rief sein Nachbar. »Genau. Weg mit dem Lump!«, stimmte ein Dritter zu.
»Dat gespuis moet verdwijnen!«,
verlangte auch ein flämischer Gast, woraufhin ein Schwede den Becher hob und forderte:
»Sluta nu. Låta oss vidga dricka!«
Auch die übrigen Gäste taten ihre Zustimmung kund. »Das gute Bier der Fröbelin soll nicht an solche Lumpen verschwendet werden!«
    »Drum schenk mir noch einmal kräftig nach, liebes Kind. Ich lass dich auch in Frieden deine Arbeit tun.« Ein Rotbärtiger zwinkerte Agnes zu.
    Während sie seiner Bitte nachkam, beobachtete sie aus den Augenwinkeln Ulrich. Die muskulösen Arme vor der Brust verschränkt, wartete er, bis der Raufbold aufreizend langsam seinen Krug geleert und die Münzen für die Zeche auf den Tisch gezählt hatte. Erst dann griff der ungebetene Gast sich seine löchrige Mütze, setzte sie auf und marschierte ohne weiteren Gruß aus der Gaststube. Zufrieden schlurfte Ulrich zu einem der nächsten Tische und begann ein Gespräch. Ein Gast packte die Würfel aus, ein zweiter legte einen Stapel Karten auf den Tisch. Bald setzte emsiges Spielen ein.
    Vorsichtig spähte Agnes zu dem Schwarzbärtigen. Die ganze Zeit hatte er neben dem Tisch des Grobians ausgeharrt. Anders als Ulrich
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